AH-56 von Atlantis - die ultimative Herausforderung
Modell: Lockheed AH-56 Cheyenne
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/72
Verwendeter Bausatz: Atlantis (A506)
Bei manchen Flugzeugen kommt man schon ins Staunen – und die AH-56 Cheyenne zählt zweifellos zu dieser Kategorie. Erstaunlich ist schon das Aussehen dieses Fluggeräts, staunen lassen einem die Flugleistungen und nicht minder erstaunlich ist die kurze aber heftige Entwicklungsgeschichte dieses „Advanced Aerial Fire Systems“. Last but not least: staunen manche noch immer über den Umstand, dass schlussendlich nicht Lockheeds AH-56 Cheyenne, sondern die AH-1 Huey Cobra von Bell das Rennen gemacht hat und von der U.S. Army in die Großserienproduktion gebracht worden ist.
Ein heutiger Betrachter kann die revolutionäre Modernität, die Lockheeds Entwurf zum Zeitpunkt seiner Präsentation verströmt hat, wohl nur mehr erahnen, zu sehr sind wir schon die Anordnung der zweiköpfigen Besatzung in Form von Bordschütze vorne und Pilot in einer erhöhten Position dahinter gewohnt. Auch die so ermöglichte schlanke Bugpartie, die man damals nur von schnellen Kampfflugzeugen kannte, überrascht heute nicht mehr. Die AH-56 sollte jedoch einer der ersten Entwürfe sein, mit denen dieses Layout präsentiert, erprobt und schlussendlich eingeführt worden ist.
Die Konstrukteure bei Lockheed hatten mit diesem Konzept noch weiterführende Pläne. So sollte der Bordschütze auf einem drehbaren Sitz platziert werden, der automatisch der Ausrichtung der in zwei schwenkbaren Türmen montierten Rohrwaffen folgen würde. Der Blick des Schützen war so immer auf das anvisierte Ziel gerichtet. Der Bug-Waffenturm sollte dabei entweder einen 40 mm Granatwerfer oder eine 7,62 mm Minigun tragen, während der untere Drehturm eine 30 mm Maschinenkanone zum Einsatz bringen sollte. Die Cheyenne bot weiters die Möglichkeit, dass Pilot und Schütze mit beiden Türmen gleichzeitig zwei in verschiedenen Richtungen liegende Ziele bekämpfen können.
Die über 3.900 PS liefernde Turbine T64-GE-16 von General Electric, bis heute zum Antrieb schwerer Hubschrauber weit verbreitet, stellte der Cheyenne ein wahrhaft gewaltiges Leistungspotential zur Verfügung. Angetrieben wurde davon zum einen ein Vierblatt-Rotor innovativer Konstruktion, dessen Steuerung auf dem Prinzip der Kreiselpräzession beruhte. Die neuartige Rotorkonstruktion stellte allerdings auch einen jener technischen Schwachpunkte dar, die das Projekt schlussendlich zu Fall bringen sollten.
So stürzte im März 69 der dritte Prototyp, übrigens einer von insgesamt zehn gebauten Cheyenne, aufgrund einer nicht mehr kontrollierbaren Oszillation der Rotorblätter ab. Vom Begleitflugzeug aus wurde beobachtet, wie sich in Sekundenschnelle die Rotorblätter immer weiter auslenkten, bis sie schließlich in den hinteren Rumpf und in das Cockpit einschlugen. Der Pilot, Lockheed-Testpilot David A. Beil, fand auf der Stelle den Tod.
Die PS-starke Turbine trieb aber nicht nur das bei Hubschraubern übliche Paar von Haupt- und Heckrotor an, sondern auch einen Schubpropeller, der am äußersten Ende des Heckauslegers Platz fand. Dieser Propeller stellte eine wesentliche Eigenheit der Cheyenne dar: durch dessen Schub angetrieben erlangte die Konstruktion die für konventionelle Hubschrauber bis dahin unerreichbare Höchstgeschwindigkeit von 393 km/h. In diesem Geschwindigkeitsbereich trug der Hauptrotor dann tatsächlich nur mehr etwa 20 Prozent zum Auftrieb bei, 80 Prozent wurden dagegen durch die beiden rumpfmittig angeordneten Tragflügel beigesteuert. Dass die Cheyenne mit dieser Leistung damals nicht den Geschwindigkeitsrekord für Hubschrauber für sich reklamieren konnte, hatte allein einen Grund: die AH-65 Cheyenne ist kein Hubschrauber! Ihre spezielle Auslegung macht sie zu einem sogenannten „Kombinationsflugschrauber“. Damit zählt sie zu einer Flugzeugklasse, der so bekannte Exoten wie die Fairey Rotodyne oder die derzeit produzierte V-22 Osprey angehören.
Der Heckpropeller diente aber auch noch einem anderen, mit der geplanten operativen Verwendung der Cheyenne verknüpften Zweck: die Ausschreibung der US-Army für ein „Advanced Aerial Fire Systems“ forderte unter anderem die Fähigkeit, ein Ziel im steilen Sturzflug direkt anvisieren und dabei unter Feuer nehmen zu können. Ein Problem bei diesem Angriffsverfahren ist die sich rasch aufbauende Geschwindigkeit, was unter anderem die Zeit, um das Bodenziel effektiv unter Beschuss halten zu können, zu sehr verkürzt. Der Heckpropeller löste dieses Problem, da er, als Sturzflugbremse eingesetzt, die Geschwindigkeit der Richtung Ziel stürzenden Cheyenne konstant in einem vom Piloten gewählten Bereich halten konnte.
Die Tragflächen wurden auch zur Anbringung diverser Raketen und Abwurfwaffen verwendet. An je zwei Stationen unter den Flächen sowie zwei weiteren unter dem Rumpf konnte eine große Bandbreite an externer Bewaffnung montiert werden. Geplant waren dabei BGM-71 TOW Panzerabwehrflugkörper sowie 70mm Raketen in 7er oder 19er Werfern. Die sechs Waffenpylone waren auch vorbereitet, um externe Abwurftanks verwenden zu können. Insgesamt konnten so über 5,4 Tonnen externer Waffen mitgeführt werden.
Die Leistungen, die von den zehn Erprobungsmaschinen erflogen wurden, beeindrucken noch heute: zu den schon erwähnten 390 km/h Höchstgeschwindigkeit gesellt sich noch die Fähigkeit, 37 km/h rückwärts und 46 km/h seitwärts fliegen zu können. Die Steigleistung betrug 6,5 m in der Sekunde, die Dienstgipfelhöhe war in 6.100 Meter Höhe erreicht. Auch die Angabe zur Reichweite ist interessant: 1.970 Kilometer. Leer brachte die Cheyenne 5.500 kg auf die Waage, voll beladen dagegen 13.600 kg. Die Besonderheiten der Cheyenne ermöglichten übrigens auch bei Hubschraubern ansonsten unmögliche Flugbewegungen. So hob die Cheyenne in völlig gerader Ausrichtung gegenüber dem Boden ab, auch konnte sie aus dem Schwebeflug mit dem Spornrad zuerst am Boden aufsetzen – alles Dinge, die einem konventionellen Hubschrauber unmöglich sind.
Die hier geschilderten Innovationen und das daraus resultierende beeindruckende Leistungsspektrum wurden allerdings mit einem ganzen Bündel an technischen Schwierigkeiten bezahlt, die zu guter Letzt auch zu einem vorzeitigen Aus für das gesamte Projekt führen sollten. War die Lockheed AH-56 neben Sikorskys S-66 im Jahr 1965 noch als Gewinner der Ausschreibung für das „Advanced Aerial Fire Support System (AAFSS)“ ausgewählt worden, wurde die anfängliche Begeisterung rasch durch eine Reihe schnell ausufernder technischer Schwierigkeiten eingebremst. Zu den Themen gehörten etwa eine inakzeptable Instabilität im Flug in geringen Höhen, unkontrollierbare Vibrationen des Rotors oder etwa ein Höchstgewicht, das über den Anforderungen lag. Mit der Zeit schwand das Vertrauen der U.S. Army in Lockheed, diese Probleme zeitnah lösen zu können. Vor dem Hintergrund des fatalen Absturzes vom März 1969 führte dies zur Auflösung eines ursprünglichen Auftrags über die Produktion von 375 Exemplaren der AH-56 Cheyenne.
Die Entwicklungsarbeit wurde jedoch nach Produktionsstopp vorerst noch fortgeführt. 1972 kam dann allerdings das endgültige Aus für Lockheeds ehrgeiziges Helikopter-Projekt: technisch inzwischen langsam zum alten Eisen zählend, wurde die Arbeit an der AH-56 Cheyenne zuletzt zugunsten zweier neuer Waffensysteme endgültig eingestellt: die A-10 Thunderbolt II sowie der neue Kampfhubschrauber AH-64 Apache hatten die AH-56 überflüssig gemacht.
Zum Bauprozess
Nicht nur die Beschreibung des Originals verlangt nach Superlativen, diese sind auch für den Bauprozess notwendig! So gehören die Teile, die man in der Schachtel des Herstellers Atlantis findet, sicherlich dem haarsträubendsten Bausatz an, den ich mir je zugetraut habe. Angesichts der wenigen mickrigen Einzelteile, die da im dünnwandig-instabilen Karton klapperten, wollten mich anfangs gleich einmal Mut und Motivation verlassen. Auch die Information, dass der zugrundeliegende Aurora-Bausatz der AH-56 Cheyenne schon im Jahr 1968 auf den Markt gebracht worden ist, brachte da – außer der Erkenntnis, dass dieser und ich das Baujahr teilen – keinen Trost.
Der Bau selbst hat dann bewiesen, dass ein gewisser Mut tatsächlich angebracht ist: die gähnende Leere des gut einsehbaren Cockpits wird nur durch einige wenige Teile gestört, deren Formgebung nichts mit dem Vorbild zu tun haben. Dementsprechend habe ich eine Menge Ätzteile aus der Restekiste requiriert, die für eine angemessene Dichte an verschiedenen Detailformen und so hoffentlich auch für einen zumindest vorbildnahen Gesamteindruck sorgen würden. Die Mittelkonsole mit dem Instrumentenbrett des Piloten wurde in der Höhe gekürzt und in ihrer Form neu gestaltet.
Ein massives und nicht zu negierendes Problem findet man im Klarsichtteil der Cockpithaube. Mitten in der Frontscheibe prangt eine massive Auswerfermarke! Nach einigem Überlegen habe ich mich zu einem „operativen Eingriff“ entschieden, die Frontscheibe wurde mittels Bohrer und Säge entfernt und durch ein geeignetes Stück Klarsichtfolie ersetzt. Zu meiner eigenen Überraschung hat dies auf Anhieb sehr gut funktioniert.
Intensiv beschäftigt habe ich mich mit dem Rotorkopf, die Bausatzteile sind hier großteils reine Fiktion und so ohne massivste Modifikationen schlicht nicht brauchbar. Um die Beschreibung nicht ausufern zu lassen, fasse ich einen langen Prozess kurz: Die zentrale Rotorscheibe sowie die Rotorblätter wurden zurechtgesägt und mit viel Schleifpapier in eine vertretbare Form gebracht, so gut wie der gesamte Rest der komplexen Rotorkonstruktion entstand danach aus „gescratchten“ Metall- und Kunststoffteilen.
Das Fahrwerk wurde in der Form neu gestaltet, dass ich die Hauptfahrwerksbeine auseinandergeschnitten habe, um dann folgend je zwei glänzende Metallstäbe als Federbeine in die vier Bohrungen, die ich an den beiden Fahrwerksbeinhälften angebracht hatte, einzufügen. Auch das Spornrad wurde komplett neu aufgebaut. Den dieses Rad aufnehmenden unteren Teil der Heckflosse konnte ich zusätzlich noch aushöhlen, was die Gesamterscheinung stark verbesserte. Die Räder selbst stammen aus einem Resin-Set für die CH-53; mir scheinen sie in Form und Größe sehr gut zu passen.
Zeit und Energie wurde auch in die Reparatur der viel zu tiefen und auch in ihrer Form nicht korrekten Panellinien gesteckt. Der erste Akt dazu war gleich der Wichtigste: zu Beginn habe ich alle Gräben mit Spachtelmasse aufgefüllt und nach dem Trocknen überschliffen. Danach konnten recht bequem ausgewählte Panellinien in das Plastik gezogen werden.
Zum Abschluss erwähne ich noch, dass die beigelegten Schiebebilder zu überraschen wussten: sie waren gut verwendbar! Ergänzt habe ich hier nur einige Wartungshinweise, das Material dazu stammte wieder aus dem Fundus.
Das Projekt AH-56 Cheyenne war eines meiner erfahrungsreichsten Modellbauerlebnisse. Eine Erfahrung ist etwa die, dass es richtig Freude machen kann, ab und an einmal den Anspruch auf Authentizität und Perfektion zurück zu schrauben und sich über einen Bausatz zu trauen, der einem vor bislang unbekannten Herausforderungen stellt.
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer