Der legendäre Moskauflug
von Mathias Rust
Modell: Cessna 172
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/48
Verwendeter Bausatz: Italeri (2764)
Ist es nicht erstaunlich, wie viele Zeitgenossen sich noch an Mathias Rusts Flug nach Moskau erinnern können? 36 Jahre sind seit diesem 28. Mai 1987 vergangen und trotzdem bleibt die Tat des damals blutjungen Piloten allem Anschein präsent. Es ist interessant zu überlegen, welche Aspekte dieser haarsträubenden Unternehmung wohl für diese erstaunlich lange Halbwertszeit im kollektiven Gedächtnis gesorgt haben. Man kann davon ausgehen, dass zum einen die Person des damals knapp 19-jährigen Mathias Rust einen wichtigen Faktor darstellt. Wer könnte schon vermuten, dass ein Abiturient aus wohlbehüteten sozialen Verhältnissen ein derartig abenteuerliches Wagnis planen und tatsächlich umsetzen würde! Von seiner damaligen Umgebung wird Mathias Rust als hochintelligent und dabei besonnen beschrieben, seinen Flugschein erlangte der überdurchschnittliche Schüler im August 1986 mit einer fehlerlosen Abschlussprüfung.
Der Flug nach Moskau
Dem jungen Piloten war mit dem aufsehenerregenden Moskau-Flug auch fliegerisch eine bemerkenswerte Leistung gelungen. Die folgende Übersicht seiner Aktivitäten im Vorfeld und bei der Durchführung des Moskauflugs lassen dies erahnen: bei einem Hamburger Fliegerclub hatte er Anfang Mai eine Cessna 172P gechartert, wobei er zuvor Eltern und Bruder gegenüber eine Flugreise nach Skandinavien angekündigt hatte. In einer ersten Etappe flog er nun aber über Färöer nach den Shetlands, der ein weiterer Abschnitt über den Atlantik nach Reykjavik auf Island folgte. Übrigens hatte er noch in Deutschland die hintere Sitzreihe der Maschine ausgebaut, um Extratreibstoff verstauen zu können
Spätestens in Island muss sich Rust entschlossen haben den lebensgefährlichen Flug nach Moskau tatsächlich durchzuführen: mit eigens mitgebrachter Goldfolie brachte er an vier Positionen ein von ihm eigens entworfenes Zeichen an seiner Cessna 172 an. Es zeigt in einem Kreis eine Pyramide, die an ihrer Unterseite von drei Füßen gestützt wird. Der Kreis symbolisiert die Welt, die Pyramide weist mit ihrer Spitze zum Himmel, die drei Füße, auf den das Ganze sozusagen ruht, stehen für die drei Begriffe Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Auch dieses Detail unterstreicht: Mathias Rust hatte mit jugendlichem Idealismus den Flug als Zeichen für Weltfrieden und der Versöhnung der Völker geplant.
Bei den Filmaufnahmen, die Rust über den Roten Platz zeigen, sind diese Symbole auf beiden Seiten des Seitenleitwerks, an einer Tragflächenunterseite sowie auf dem Kabinendach deutlich zu sehen, schon auf wenig später angefertigten Fotografien der Cessna sind diese Embleme allerdings nicht mehr deutlich sichtbar, sie dürften sich schnell ab- oder aufgelöst haben. Eine letzte Etappe führte Rust jedenfalls mit der so geschmückten Cessna von Reykjavik über das norwegische Bergen nach Helsinki in Finnland, wo er am Flughafen von Malmi am 25. Mai landete. Nach eigenen Angaben war er zu diesem Zeitpunkt entschlossen, den lange vorbereiteten Flug unter allen Umständen durchzuführen.
Drei Tage später, am 28. Mai startete er von hier aus zu seinem Flug in die Hauptstadt der Sowjetunion. Nachdem er die Grenze im Gebiet der damaligen Estnischen SSR überflogen hatte, folgte er dem Küstenverlauf und navigierte sich innerhalb von rund fünf Stunden tatsächlich erfolgreich über das Stadtgebiet von Moskau. Während dieser Stunden wurde er anscheinend zeitweise von zwei MiG 23 begleitet, deren Piloten jedoch nichts gegen den jungen Deutschen unternahmen. Bei vollem Tageslicht und in geringer Flughöhe konnte Mathias Rust unbehelligt seinen Flug fortsetzen.
Glücklich über dem Moskauer Häusermeer angekommen, orientierter er sich nach eigenen Angaben mittels eines Falck-Reiseführers, in dem die Sehenswürdigkeiten der Stadt mit Zeichnungen abgebildet waren. Sein ursprünglicher Plan, direkt vor dem Kreml auf dem Roten Platz zu landen, wurde durch die neugierigen Moskauer durchkreuzt, die Rusts mehrmals tief über den Platz einschwebender Cessna wohl zuwinkten (und diese filmten), aber den Platz nicht freimachten. Schlussendlich gelang Rust eine glatte Landung auf der nahen Großen Moskwa Brücke, wonach er seine Maschine zu einem nahen Busparkplatz in der Nähe der berühmten Basilius Basilika rollen ließ und den Motor abstellte.
Eine wesentliche Zutat zur anhaltenden Bekanntheit von Rusts Moskau-Flug stellen die speziellen Zeitumstände vor dem Hintergrund des kalten Kriegs dar. 1987 war Michail Gorbatschow seit zwei Jahren Generalsekretär der KPdSU und Ronald Reagan, Präsident der USA, hatte die UdSSR schon als „Reich des Bösen“ erkannt. Der Kalte Krieg ging in seine letzte Phase, wobei Wettrüsten und der drohende Schrecken eines Nuklearkriegs die Bevölkerung in Ost wie West noch immer in Atem hielten. Es berührt auch heute noch, dass ein junger Mensch tatsächlich glauben konnte, mit einer außergewöhnlichen Tat ein Friedenszeichen setzen und das Ende der Teilung der Welt im kalten Krieg fördern zu können.
Erstaunlicherweise: Rusts Flug sollte tatsächlich erhebliche Wirkung haben! So nutzte der reformwillige Generalsekretär Gorbatschow den unerhörten Umstand, dass ein bundesdeutsches Flugzeug vollkommen unbehelligt ins Herz der kommunistischen UdSSR gelangen konnte, sogleich zu einem umfassenden Schlag gegen reformunwillige Kreise im Offizierskorps der Roten Armee. Über 300 hohe und höchste Militärs wurden entlassen oder „einvernehmlich“ in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. So mussten sowohl Verteidigungsminister Sergej Sokolow wie auch der Chef der sowjetischen Luftverteidigung Alexander Koldunow den Hut nehmen. Die unerhörten Pannen und die durch Rusts Flug aufgezeigten Schwächen der Luftverteidigung gaben Gorbatschow die Gelegenheit, mächtige Gegner seiner Reformen aus dem Weg zu schaffen und folgend den Umbau des Sowjetstaates im Sinne von Perestroika und Glasnost voranzubringen.
Dass Mathias Rust unglaubliches Glück hatte, wird wohl jeder zustimmen. Wie groß dieses Glück aber tatsächlich war, wird verdeutlicht, wenn man bedenkt, dass nur vier Jahre zuvor eine vollbesetzte Boeing 747 der Korean Airlines, die unter ungeklärten Umständen über Sachalin vom Kurs abgekommen und in sowjetisches Territorium geraten war, von einem sowjetischen Kampfflugzeug abgeschossen worden war. Alle 269 Insassen der KAL-Maschine hatten beim Absturz einen schrecklichen Tod gefunden. Das Zögern sowie das langsame Entscheiden und Delegieren der Verantwortung von einer Dienststelle zur anderen, das Mathias Rust das Leben gerettet haben dürfte, ist auch vor dem Hintergrund des geschilderten Ereignisses zu sehen. Der Schrecken über die internationalen politischen Konsequenzen sowie das geballte Entsetzen der Weltöffentlichkeit über den Abschuss einer vollbesetzten Zivilmaschine saß den Entscheidungsträgern in der Luftverteidigung noch in den Knochen und verhinderte so ein rasches und entschlossenes Vorgehen.
Die Bilder und Filmaufnahmen, die Rust nach der Landung auf dem Roten Platz zeigen, wie er mit den Menschen, Zivilisten wie Uniformträgern, kommuniziert, berühren. Egal, ob man versteht, was gesprochen wird oder nur stumme Bilder sieht: die Körpersprache der Beteiligten vermittelt in einer klar erkennbaren Weise Aufregung und Befangenheit, Neugier, Freundlichkeit und Erstaunen, kurz: es wird deutlich, dass hier – jenseits von Ideologie und moralischer Etikettierung – Mensch auf Mensch trifft. Für mich persönlich sind diese Bilder einer der stärksten Hinterlassenschaften von Rusts Flug, wert, ab und an hervorgeholt und gedankenvoll betrachtet zu werden.
Mathias Rusts Biografie gestaltete sich auch nach dem Moskauflug und der vierzehnmonatigen Haft, die er in einer Moskauer Strafanstalt abgesessen hat, ungewöhnlich und wechselvoll. Wer sich über seinen weiteren Lebensweg informieren möchte, wird im Internet leicht fündig. Rusts Cessna 172 blieb erhalten und wurde – nach langen Jahren in einem japanischen Freizeitclub – 2008 nach Deutschland zurückgebracht, wo sie derzeit im Deutschen Technikmuseum Berlin ausgestellt ist.
Zu Bausatz und Bauprozess
Der Bausatz der Cessna 172 mit den Decals für Rusts Maschine wurde 2016 von Italeri aufgelegt. Die Formen dazu sind jedoch wesentlich älter und stammen von einem anderen renommierten Hersteller: schon 1981 war diese Cessna 172 von ESCI zum ersten Mal angeboten worden. Dieses beinahe schon biblische Alter zeigt sich in allen Aspekten: nicht nur, dass die Bauteile vor mächtigen Nieten geradezu strotzen, furchen auch viel zu tiefe Panellinien die Oberflächen. Eine Extraportion Fischhaut und der allgemein noch recht entspannte Zugang zu Thema „Details“ komplettieren den Eindruck, hier einen echten „Oldie“ in Händen zu halten. Auf der positiven Seite ist dagegen die gute Passgenauigkeit zu loben, auch die brauchbare Transparenz der Klarsichtteile gehört zu den guten Eigenschaften dieses bejahrten Bausatzes. Wenn man nun eine Weise findet, mit den Panel-Kerben und den allzu großen Nieten umzugehen, kann dieser Modellbausatz noch immer empfohlen werden!
Meine Reaktion war, die Nieten auf erträgliches Maß zurück zu schleifen und die Vertiefungen mit Spachtelmasse aufzufüllen. Teils müssen diese dann nachgezogen werden, teils bleiben sie durch den Schwund der Spachtelmasse aber ohnehin sichtbar – aber eben mit einer realistischeren Tiefe. Sobald diese Hürden genommen waren, ließ sich das Modell mit angemessenem Aufwand und auch ohne größere Schwierigkeiten zu einer guten Annäherung an Rusts Cessna 172 aufbauen. Dabei halfen auch die von Italeri beigelegten Decals, welche von guter Qualität sind und sich entsprechend komfortabel verarbeiten ließen.
Zum Schluss
Modellbau-Themen aus dem Bereich der zivilen Fliegerei fördern manchmal überraschende Einsichten und, wie in diesem Fall, auch manch persönliche Erinnerungen zutage. Rusts Flug als Initiative für friedliche Völkerverständigung scheint von großer Aktualität. Passend also, dass es mit Italeris Bausatz eine Möglichkeit gibt, die Maschine des aufsehenerregenden Moskauflugs von 1987 als Modell zu bauen!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer