Der junge Adler,
der nicht fliegen konnte
Modell: Bodeneffektfahrzeug A-90 Orlyonok
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/144
Verwendeter Bausatz: Zvezda (7016)
Das hier vorgestellte geheimnisvolle Fluggerät ist erstaunlich schwer einzuordnen. Zwar fliegt es einige hundert km/h schnell und erinnert in vielen Teilen auch an ein klassisches Flugzeug, andererseits bewegt es sich aber auch mit einer gischt- oder staubaufwirbelnden Dramatik dicht über die unterschiedlichsten Untergründe, wie es sonst nur ein Hoovercraft könnte – was es aber ebenfalls eindeutig nicht ist. Sieht man es dagegen auf See mit langsamer Fahrt, drängt sich der Vergleich mit einem Schiff auf. Aber auch hiermit würde man falsch liegen.
Die Geschwindigkeitsbereiche, in denen dieser schiffsgroße Koloss unterwegs ist, hilft ebenfalls nicht, um zu einer Deutung zu kommen, sondern vergrößert das Erstaunen noch: die gewaltige, an die 60 Meter lange Konstruktion brettert mit unglaublichen 400 km/h Spitze über die unterschiedlichsten Untergründe, kann die Fahrt aber auch bis zum Stillstand zurücknehmen, sodass die 140 Tonnen Eigengewicht schlussendlich unter gewaltigem Getöse ins Wasser sinken oder aber an Land auf einem merkwürdig klein scheinenden Landegestell zur Ruhe kommen. Mit den Kategorien Flugzeug, Schiff oder Hoovercraft kommt man bei diesem geheimnisvollen Ungetüm also nicht weit, aber es gibt natürlich eine technische Kategorie, für die all die beschriebenen Phänomene typisch sind!
Der kundige Leser wird an dieser Stelle schon längst wissen, dass die A-90 Orlyonok ein sogenanntes Bodeneffektfahrzeug ist. Dies ist eine erstaunliche Fahrzeugklasse, die, um es einmal so auszudrücken, die Vorzüge verschiedener Welten in sich vereinen. Groß und voluminös wie ein Schiff, schnell wie ein Flugzeug und weitgehend unabhängig von der Beschaffenheit des Untergrunds wie ein Hoovercraft! Das zugrundeliegende Antriebsprinzip ist ein Luftkissen, auf dem der Rumpf über die Wellen reitet. Erzeugt wird dieser während der Fahrt durch die Form von Rumpfboden und der mit den beiden Seitengondeln nach außen sich abschließenden Tragflächen. Die beiden leistungsstarken Turbinen im vorderen Rumpfbereich sorgen nicht nur für Vortrieb: leicht nach unten und somit in den durch Rumpf und Tragflächen gebildeten Hohlraum gerichtet, sorgen sie mit ihrem Abgasstrahl für die Ausbildung des Luftkissens bei langsamer Fahrt. Ob der Untergrund sich dabei nass, trocken oder halbfest zeigt, fällt nicht ins Gewicht, Voraussetzung für die Effizienz des Luftkissens ist allerdings ein einigermaßen ebener Boden.
Diesen findet die A-90 bei ihren geplanten Einsätzen aber ohne Probleme vor: die Orlyonok wurde Anfang der 70er Jahre für die Verwendung als schneller Kampfzonentransporter für amphibische Landeoperationen entworfen. Das erklärt auch den auffallenden Kranz an Gelenken rund um den vorderen Rumpfbereich: die gesamte Bugsektion konnte binnen Minuten um 90 Grad zu Seite geschwenkt werden, um mittels bordeigener Rampen beeindruckende 20 Tonnen militärischer Nutzlast auszuladen. Dazu konnte auch schweres Gerät, wie etwa ein rund 10 Tonnen wiegender Schützenpanzer BTR-60PB zählen.
Seit Ende der 60er Jahre wurde in der UdSSR an der Entwicklung von Bodeneffektfahrzeugen geforscht, mit der das „Zentrale Konstruktionsbüro für Tragflächenboote“ unter Leitung von Rostislaw Alexejew betraut wurde. Der Erstflug der A-90 fand im Herbst 1972 auf der Wolga statt, für die weitere Erprobung und auch ihre Verwendung verlegte man an die Küsten des kaspischen Meeres. Insgesamt sind fünf Exemplare gebaut worden, durch Unfälle gingen zwei während ihrer Einsatzzeit verloren, während die drei verbliebenen Gefährte erst 1993 außer Dienst gestellt wurden. Zwei dieser beeindruckenden Riesen – der Prototyp S-23 und die S-26 – sind als Museumsschiffe erhalten. Die hier dargestellte S-21 (MDE-150) mit dem markanten Emblem am Rumpf ist allerdings schon am 3. November 1979 in einem Sturm gekentert und gesunken.
Das russische Wort „Orlyonok“ bedeutet übrigens „junger Adler“, was die großformatige Darstellung an den Flanken der A-90/S-21 erklärt. Nun könnte man aber vermuten, dass bei einem „jungen Adler“ womöglich auch ein Elterntier existiert – und tatsächlich: die A-90 war nicht das einzige Ekranoplan, an dem man in der Sowjetunion zu dieser Zeit geforscht und das man in kleiner Stückzahl tatsächlich in Erprobung hatte! War die A-90 als amphibischer Landungs-Transporter konzipiert, brachte man mit den Fahrzeugen der „Lun“-Klasse ein Bodeneffektfahrzeuge zur Einsatzreife, dass für die Bekämpfung feindlicher Schiffsverbände ausgerüstet war. Kann die A-90 noch eine gewisse formale Eleganz für sich in Anspruch nehmen, beeindruckten die Vertreter der über 70 Meter langen „Lun“-Klasse eher durch ihre monströse Gestalt, die sie noch mehr als Hybrid zwischen Schiff, Flugzeug und, nun ja, einem Produkt aus dem Science Fiction Universum erscheinen lässt. Aus gutem Grund sollten sie als „kaspische Seemonster“ bekannt werden!
Zu Bausatz und Bauprozess
Der Anlass zur Verwirklichung dieser Orlyonok war ein Bauauftrag. Nachdem mir das Thema gut gefallen hat, plante ich, ein zweites Exemplar für mich parallel mitzubauen. Da diese Bausätze – sowohl die Originale von Zvezda, wie die Ausgaben von Revell – derzeit schwer zu finden sind, war ich sehr froh, über einen Nachlassverkauf doch noch zu einem zweiten Bausatz kommen zu können. Auf die Freude folgte jedoch bald die Erkenntnis, dass der eben erworbene Bausatz leider unvollständig war: wesentlich Teile – etwa eine ganze Rumpfhälfte – fehlten.
Im Sinnieren darüber, wie aus dieser Situation das Beste zu machen sei, habe ich den Entschluss gefasst, die beeindruckende A-90 Orlyonok mit dem einen realisierbaren Modell möglichst beeindruckend zweimal in Szene zu setzen! Einmal sollte das fertiggestellte Modell auf dem eigenen Fahrwerk stehend gezeigt werden können, zum anderen würde ich einzelne Bauteile des zweiten Bausatzes verwenden, um das Ekranoplan fliegend dazustellen. Der Plan war, das Modell so zu modifizieren, dass der neue Besitzer jederzeit zwischen beiden Zustände wechseln kann.
Ein Modell in zwei Varianten
Die A-90 stehend darzustellen, schien auf dem ersten Blick die leichtere und weniger aufwendig umzusetzende Aufgabe. Die großen gegenläufigen Propeller der Turbine oben an der gewaltigen Heckfinne stehen still und die Konstruktion ruht auf ihrem Fahrwerk aus vielen kleinen Haupträdern und dem doppelt bereiften Bugrad: das sollte doch eigentlich leicht zu machen sein! Dumm war nur, dass der Bausatz nur einen „fliegenden“ Zustand mit eingezogenem Fahrwerk vorsieht.
Hier konnten die Bauteile des zweiten Bausatz nützlich sein: ich präparierte bei diesem die Fahrwerkssektion aus dem Rumpf und modifizierte dieses so, dass es vorbildgemäß für die Landung ausgefahren unter dem Rumpf leicht hervortrat. Die Frage, wie ich diesen Zustand reversibel halten könnte, um die Orlyonok auch wieder fliegen lassen zu können, löste ich mittels einer Technik, die ich im Modellbau noch nicht eingesetzt hatte: mit Magneten!
Insgesamt acht kleine knopfförmige Magneten wurden am Rumpf sowie am Fahrwerkmodul passend angebracht. Auf diese Weise können die beiden Elemente einerseits stabil verbunden, andererseits mit wenig Kraft und etwas Fingerspitzengefühl auch wieder voneinander getrennt werden. Ein beruhigendes leises „Klick“ bestätigt nun jedes Mal, wenn Fahrwerk und Rumpf einander genug ausreichend angenähert sind, dass die Sache hält. Für mich eine neue Technik, die ich gerne wieder einsetzen werde!
Eine Gelegenheit dazu bot sich auch gleich danach, als es darum ging, die beiden Propellervarianten „stehend“ und „drehend“- wechselbar zu halten. Hier kamen die Magneten zum einen jeweils auf die Rückseiten der beiden Propellerschäfte, zum anderen einmal in den Hohlraum im Inneren der Turbinendarstellung hinter dem Propeller. Dazu wurde der Magnet auf die Spitze eines Zahnstochers geklebt, den ich dann mittels einer Bohrung von der Außenwand in die Mitte des Turbineninneren schieben und dann in aller Ruhe ausrichten konnte. Der nach außen ragende Teil des Zahnstochers wurde folgend abgesägt und die Bohrung/Klebestelle mittels Spachtelmasse und Schleifen zum Verschwinden gebracht.
Die Darstellung der drehenden Propellerblätter habe ich in einer nun schon öfter erprobten Form versucht: auf dünner Klarsichtfolie wurden mit dunkler Farbe vorsichtig Hell-Dunkelverläufe gesprayt, die Folie dann in passende Form geschnitten und an die Bauteile des gegenläufigen Propellerspinners montiert. Vor dem richtigen Hintergrund kann die Illusion drehender Props mit unscharfen Rändern erstaunlich überzeugend wirken.
Die Wasserbasis
Bei der Umsetzung der Wasseroberfläche habe ich mich für folgende Vorgehensweise entschieden: auf einer Schaumstoffplatte wurde mit leichter Spachtelmasse die Wellenstruktur aufgepinselt beziehungsweise mit Fingerspitzen und feinen Spachteln im weichen Material gestaltet. Nach dem Aushärten konnte ich mit Pinsel und Acrylfarbe die farbige Gestaltung durchführen, wiederum nach einer eintägigen Trocknungszeit kam das ausgezeichnete transparentes Wasser-Gel von Vallejo über die Oberflächen, dass nach etwa zwei Tagen klar und transparent durchgehärtet war. Übrigens: bei der Darstellung der Gischt ist bei Ekranoplanen zu achten, dass das Wasser unter dem Rumpf nicht aufgewühlt und hoch wirbelnd wie beim Start eines Flugbootes aussehen darf, sondern gleichsam glatt und platt gebügelt wirken muss! Die Gischt selbst besteht aus handelsüblicher Watte, die dicht gedreht oder weich auseinandergezogen an die transparente Wasseroberfläche punktgeheftet wurde.
Als Fazit kann ich sagen, dass ich an diesem im Maßstab kleinen und vom Bausatz her sehr einfachem Projekt eine Menge Dinge lernen habe können: zum einen eröffneten die Einblicke in die Technik der Bodeneffektfahrzeuge neue Perspektiven, zum anderen konnte ich neue Modellbautechniken wie die Verwendung von Magneten für lösbare Verbindungen erproben. Insgesamt war das also ein unterhaltsames und erkenntnisreiches Modellbauprojekt!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer