Übersicht
Artikelbezeichnung: Wilde Sau, Episode One: Ring of Fire
Limited Edition, Dual Combo
Maßstab: 1/48
Hersteller: Eduard Model Accessories
Material: Spritzguss, Fotoätzteile, Resinteile, Masken, Decals, Ansteckpin
Preis: ca. € 45,–
Artikelnummer: 11140
Produktlink: Wilde Sau – Episode One: Ring of Fire
Download: Bauanleitung
Einleitung
Ich gratuliere den Marketingstrategen von Eduard. Die tschechische Modellschmiede schafft es immer wieder mit limitierten Sonderauflagen das Interesse an ihren Produkten zu befeuern. Mit markigen, stellenweise auch witzigen Artikelbezeichnungen (z.B. „Bundesfighter“ für die F-104G), werden Bausätze tituliert, die ein bestimmtes Thema abdecken. So ist es auch beim Kit mit der Nummer 11140. Er heißt nicht einfach langweilig „Messerschmitt Bf 109G-5 & G-6“ – nein, er trägt den Titel „Wilde Sau, Episode One: Ring of Fire“. Das hat was! Wobei Episode One darauf hindeutet, dass noch weitere Bausätze zu diesem Sujet folgen werden.
Messerschmitt Bf 109G-5 & G-6
Box & Inhalt
Weil es bei der Wilden Sau bekanntlich um die Nachtjagd geht, zeigt das schön gestaltete Titelbild eine Bf 109G-6 des Jagdgeschwaders 300, die vor dem Mond in den Nachthimmel aufsteigt. Es handelt sich bei dieser Limited Edition um einen Dual Combo Bausatz, das heißt, es können ZWEI komplette Modelle gebaut werden. Der Inhalt des Bausatzes setzt sich wie folgt zusammen:
8 Spritzgussrahmen in dunkelgrauem Kunststoff
2 Rahmen mit den Klarsichtteilen
2 Fotoätzteilplatinen
17 Resinteile
1 Bogen Abdeckmasken
3 Decalbögen
20-seitige Bau- und Bemalungsanleitung im Format A4
1 Extrablatt für die Positionierung der Stencils
1 Ansteckpin
Geschichte des Originals
Die Geschichte der Messerschmitt Bf 109 ist hervorragend dokumentiert. Deshalb gehe ich hier nur auf das Nachtjagdverfahren „Wilde Sau“ ein, dessen Ziel es war, britische Bomber direkt über den angegriffenen deutschen Städten durch Tagjäger abzuschiessen.
Nach den schweren Bombenangriffen des RAF Bomber Command von 1942, bei dem die deutschen Nachtjagdverbände noch recht erfolgreich operierten, suchten britische Experten nach Wegen, die funkmessgelenkte Nachtjagd außer Gefecht zu setzen. Sie fanden sie unter anderem in Form von Stanniolstreifen namens Window, auf deutscher Seite Düppel genannt. Diese konnten jedes bis dahin gefertigte Funkmessgerät der Luftwaffe täuschen. Die geführte Nachtjagd war mit einem Schlag wirkungslos geworden.
Major (später Oberst) Hans-Joachim Herrmann erkannte recht früh, dass die deutsche Nachtjagd an Kampfkraft verlor, und schlug am 27. Juni 1943 dem Kommandierenden General der Nachtjäger Josef Kammhuber vor, Tagjäger in einem eigens entwickelten Verfahren – Wilde Sau – direkt über dem Angriffsgebiet operieren zu lassen, was dieser zunächst ablehnte. Als die britische Royal Air Force am 25. Juli 1943 die Operation Gomorrha startete, entschloss man sich, das neue Verfahren zu testen.
Beim Verfahren „Wilde Sau“ kamen Jäger der Typen Messerschmitt Bf 109 und Focke-Wulf Fw 190 zum Einsatz. Diese Tagjäger hatten keine Nachtjagdausrüstung, wie etwa Funkmessgeräte zur Feindortung, und waren deshalb für den Nachtflug wenig geeignet. Um sie trotzdem einsetzen zu können, bediente man sich einer Taktik, die Hajo Herrmann als „Mattscheibe“ bezeichnete. Hierbei verschoss die Flakartillerie an Fallschirmen hängende Leuchtgranaten, die Jäger warfen ebensolche Leuchtbomben ab. Gleichzeitig erhellten Brände am Boden und Leuchtkaskaden („Christbäume“) den Luftraum. Scheinwerferbatterien, die in den Abwehrriegeln vor den Städten wie auch in den Städten selbst standen, leuchteten vorhandene Wolken an. Auf dieser „Mattscheibe“ zeichneten sich dann die Silhouetten der angreifenden Bomber ab. Die Jäger konnten angreifen. Im selben Zeitraum stellte die Flakartillerie das Feuer ein, um die Jäger nicht zu gefährden. Die Tagjäger konnten also nur über dem Zielobjekt der Bomber zum Einsatz gebracht werden und nur während eines laufenden Angriffes.
Das Verfahren erwies sich zu Beginn als wirkungsvoll: die für die Tagjagd ausgelegten einsitzigen Flugzeuge erzielten höhere Abschusserfolge, als die vom Boden geführten zweimotorigen radarbestückten Nachtjagdflugzeuge und die Flakartillerie zusammengenommen. Dies galt aber nur für die ersten beiden Einsätze.
Ab dem dritten Einsatz stießen die deutschen Jäger auf ein System, das die USAAF seit Beginn des Luftkrieges praktizierte, die sogenannte Combat Box. Dabei flogen die einzelnen Geschwader so, dass sie sich mit Bordwaffen selber deckten. Zudem war die Koordination zwischen Jägern und Flakartillerie sehr kompliziert. So büßte auch dieses Verfahren nach seinem überraschenden Anfangserfolg schnell an Wirkung ein. Weitere Grenzen erreichte das System bei Schlechtwetterperioden. Hierbei war allein der Anflug ins Zielgebiet problematisch. Das oben beschriebene Mattscheibensystem funktionierte aufgrund der Dicke der Wolkenschicht auch nicht immer.
Bis zum Kriegsende wurden deshalb nur drei Geschwader aufgestellt, die dieses Verfahren durchführten. Dabei handelte es sich um die Jagdgeschwader 300, 301 und 302. Das Verfahren blieb in gewisser Weise ungeliebt. Bereits im Mai 1944 wurde das erste Geschwader (JG 302) wieder aufgelöst und die Gruppen an Jagdgeschwader an der Ostfront abgegeben. (Quelle: Wikipedia)
Bilder: Messerschmitt Bf 109G-6, Smithsonian National Air and Space Museum, Washington, DC, 2017
Fotos: Stefan Fraundorfer
Bausatz & Teile
Nach der x-ten Wiederauflage der Bf 109 von Eduard können uns die Plastikteile nicht mehr überraschen. Interessant sind die Resinteile, die dem Bausatz beiliegen. Dabei handelt es sich um sehr schön detaillierte Hauptfahrwerksräder und Eberspächer Flammvernichter. Als kleines Gimmick findet man in der Box einen Ansteckpin in der Form eines gelben Wappenschilds mit Eberkopf, dem Verbandsabzeichen der Jagdgeschwader 300, 301 und 302.
Die Plastikteile weisen sehr feine Gravuren, wunderschöne Nietenreihen und erstklassige Oberflächenstrukturen auf – typisch Eduard eben. Grußgrate, Fischhaut, Sinkstellen oder Formversatz sind nicht zu erkennen. Die wenigen Auswurfmarkierungen werden nach dem Zusammenbau nicht mehr sichtbar sein.
Die sehr übersichtliche und exakt gezeichnete Bauanleitung lässt meiner Meinung keine Fragen offen. Seite 3 und 4 widmet sich dem gut detaillierten Cockpit, das geradezu danach bettelt, geöffnet dargestellt zu werden. Bei praktisch jedem auch noch so kleinen Teil ist angegeben, wie es zu bemalen ist. Die PE-Teile für das Instrumentenbrett und die Sitzgurte sind bereits sehr schön fix und fertig farbig lackiert. In Kombination mit dem schichtweisen Aufbau wird sich ein gewisser 3D-Effekt einstellen. Ein besonderes Highlight ist die Benzinleitung aus einem Klarsichtteil. Man muss beim Abtrennen vom Rahmen zwar höllisch aufpassen, dass sie nicht bricht, aber ist sie einmal ordentlich bemalt und angebaut, wird sie sich im Cockpit sehr gut machen.
Im Gegensatz zur „Emil“ in 1/48 findet sich bei der „Gustav“ auf den Spritzgussrahmen weder Motor noch Waffenschacht. Freilich bringt Eduard etliche Zurüstsätze in der Brassin-Reihe auf den Markt, aber die muss man sich dann natürlich extra kaufen. Wobei ich die Entscheidung des Herstellers aber verstehen kann. Der Bausatz kann günstiger produziert und damit verkauft werden, je weniger Teile für die Spritzgussformen konstruiert werden müssen. Und wahrscheinlich wird der Großteil aller Modelle ohnehin mit geschlossener Motorverkleidung gebaut, auch wenn ein Motor beiliegen würde. Und für die Profis kommt wahrscheinlich ohnehin nur der Brassin-Motor mit seiner spitzen Detaillierung in Frage.
Positiv zu vermerken ist auch, dass die Seiten-, Höhen- und Querruder, die Landeklappen sowie die Vorflügel in ausgelenkter bzw. ausgefahrener Stellung angebaut werden können. Das wird ein sehr realistisches Aussehen ermöglichen. Von ausgezeichneter Qualität ist auch das Fahrwerk – auf den Reifen kann man sogar die Beschriftung lesen. Die Radkästen sind gut detailliert. Etwas problematisch sehe ich das bereits an der linken Tragfläche angegossene Pitotrohr. Eine kleine Unachtsamkeit genügt und es wird abbrechen.
Die Klarsichtteile sind von sehr guter Qualität – glasklar und frei von Schlieren. Selbstverständlich kann die Cockpithaube geöffnet angebracht werden. An Außenlasten können je nach Version zwei verschiedene Zusatztanks und zwei Kanonenbehälter angebaut werden.
Eine exakt vorgestanzte selbstklebende Abdeckmaske sorgt dafür, dass das Abkleben der Cockpitverglasung und der Räder rasch und sauber ausgeführt werden kann. Einfach vom Bogen abziehen, an der entsprechenden Stelle anbringen und schon kann mit dem Airbrush lackiert werden.
Bauanleitung, Decals & Markierungsmöglichkeiten
Die großformatige Bauanleitung ist typisch für Eduard sehr exakt gezeichnet. Viele Klebeflächen sind hellblau markiert, das erleichtert die Positionierung der Anbauteile. Teile die entfernt und durch Fotoätzteile ersetzt werden, sind rot gekennzeichnet. Auch bei kleinen Teilen ist angegeben, wie sie zu bemalen sind, das erspart viel Recherchearbeit. Weil mit diesem Bausatz zwei komplette Modelle aus 10 Markierungsoptionen realisiert werden können, sollte man immer gut darauf achten, die richtigen versionsspezifischen Teile zu verbauen.
Alle zehn (!!!) Markierungsmöglichkeiten sind als farbige Vier-Seiten-Risszeichnungen dargestellt. Die Anbringung der Stencils wird auf einem Zusatzblatt gezeigt. Zu den darstellbaren Maschinen und ihren Piloten gibt es jeweils eine kurze Info in englischer Sprache. Als Farbreferenz verweist Eduard auf die Paletten von Gunze aqueous bzw. Mr. Color und auf das Angebot von Mission Models.
Die Nassschiebebilder von Eduard überzeugen ebenfalls. Die Farben sind satt, es ist kein Versatz zu erkennen, allerdings könnte der Überstand des Trägerfilms kleiner sein. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die Decals zwar sehr dünn, aber trotzdem auch extrem reißfest sind und sich praktisch ohne Weichmacher schön in alle Vertiefungen legen. Der Decalbogen ermöglicht den Bau folgender zehn Maschinen:
Bf 109G-6/R6, Lt. Gerhard Pilz, 1./JG 300, Bonn-Hangelar, Deutschland, Herbst 1943
Bf 109G-6/R6, Fw. Horst John, 3./JG 300, Bonn-Hangelar, Deutschland, September 1943
Bf 109G-6/R6, Oblt. Gerhard Stamp, 8./JG 300, Oldenburg, Deutschland, September/Oktober 1943
Bf 109G-6/R6, Ofw. Arnold Döring, 2./JG 300, Bonn-Hangelar, Deutschland, Oktober/November 1943
Bf 109G-5/R6, 3./JG 300, Bad Wörishofen, Deutschland, Sommer 1944
Bf 109G-6/R6, Oblt. Alexander Graf Rességuier de Miremont, 10./JG 301, Targsorul-Nord, Rumänien, März/April 1944
Bf 109G-6/R6, Lt. Horst Prenzel, 1./JG 301, Gardelegen, Deutschland, Juli 1944
Bf 109G-6/R6, 2./JG 302, Helsinki, Finnland, Februar 1944
Bf 109G-6, Fw. Fritz Gniffke 6./JG 302, Ludwigslust, Deutschland, April 1944
Bf 109G-6, 2./JG 302, Götzendorf, Deutschland, Juli 1944
Fazit
Zu einem äußerst fairen Preis (schon gesehen unter 40,– Euro) erhält man hier einen top Bausatz mit dem ZWEI Bf 109G-5/G-6 im beliebten Maßstab 1/48 gebaut werden können. Eduards „Wilde Sau“ besticht durch überzeugende Oberflächengestaltung, teilweise bereits farbig bedruckten Ätzteilen, detaillierten Resinteilen und zehn Markierungsmöglichkeiten. Fans der 109 bzw. der deutschen Nachtjagd sollten sich diesen Kit keinesfalls entgehen lassen.
Stefan Fraundorfer, August 2020