Mut kann man sich nicht kaufen!
Modell: Caudron C.601 Aiglon
Gebaut von: Werner Scheibling
Maßstab: 1/48
Verwendeter Bausatz: S.B.S Model (SBS4003)
Wenn man nicht stolzer Besitzer des zweibändigen Monumentalwerks ‚Les Avions Caudron‘ von André Hauet ist, gestaltet sich die Recherche nach zuverlässigen Quellen zu Geschichte und Technik dieses bildschönen zweisitzigen Sport- und Reiseflugzeugs der 1930er Jahre eher mühsam. Die beiden Bände sind längst vergriffen und eine Neuauflage steht in den Sternen, da der Autor meiner Kenntnis nach zwischenzeitlich verstorben ist. Und nur so nebenbei: Guterhaltene gebrauchte Exemplare – insbesondere des Bands Zwei – werden derzeit für Preise bis zu 1.000 Euro (!) im Onlinehandel angeboten. Da muss ich leider passen.

Schließlich gelang es mir aber doch, einen sehr interessanten Baubericht unseres französischen Modellbaufreunds Régis Biaux aufzutun, den er im Modellbau-Blog ‚Fighters‘ veröffentlicht hat. Er beschreibt nicht nur den historischen Background der Caudron C.600 Aiglon mit der zivilen Kennung F-ANSN, sondern auch die wagemutige Pilotin Suzanne Kohn, die im Jahr 1939 mit diesem kleinen Maschinchen allein von Paris nach Madagaskar geflogen war.
Man muss sich dabei vor Augen führen, dass Suzanne Kohn im offenen Cockpit zur Navigation nichts weiter zur Verfügung stand als ein Kompass und eine Landkarte auf dem Schoß. Es gab in dieser Aiglon auch kein Funkgerät, um eventuell einen Hilferuf absetzen zu können. Weite Teile Afrikas waren damals noch unkartiertes Land und man versuchte, sich an Flussläufen oder sonstigen geologischen Auffälligkeiten zu orientieren.
Das vordere Passagier- bzw. Co-Piloten-Cockpit war für diesen Langstreckenflug mit einem Metallpaneel abgedeckt und die zugehörige kleine Windschutzscheibe demontiert. Hiermit hatte die Pilotin immerhin fast unbeschränkte Sicht nach vorn (wenn man von der langen Rumpfnase absieht) und die Aerodynamik dürfte sich wohl auch etwas verbessert haben.
Régis Biaux illustriert seinen Baubericht des gelungenen Resin-Kits des ungarischen Herstellers S.B.S. (dort allerdings im Maßstab 1/72) mit zahlreichen Modellfotos, aber auch mit einigen wenigen Repros historischer Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Mademoiselle Kohn und ihrem Flieger. Einen Link zu diesem interessanten Artikel habe ich am Ende meines Berichts angehängt. Unbedingt lesenswert!
Ich nahm kurzentschlossen E-Mail-Kontakt mit Régis auf und er gestattete mir sehr freundlich und ohne Zögern, seinen historischen Abriss in meinem Baubericht zu verwenden. Den Text habe ich mit Hilfe des Übersetzungsprogramms DeepL und meiner eigenen rostigen Französischkenntnisse ins Deutsche übertragen:
Geschichte des Flugzeugs Caudron F-ANSN
Das Flugzeug, das uns in diesem Baubericht interessiert, ist vom Typ Caudron C.600 Aiglon (‚Jungadler‘). Es trägt die Herstellernummer 17 dieses Typs und ist das 7038. gebaute Caudron-Flugzeug. Offiziell wurde das Flugzeug am 24. Juli 1935 für den Erstbesitzer Monsieur Jean Prevost in Joinville im Département Haute Marne registriert und zugelassen.
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Maschine an Monsieur Jean Schneider aus Paris weiterverkauft und schließlich an Bernard Coyco aus Bourg-de-la-Reine, der sie in Orly stationierte, bevor sie von Mademoiselle Suzanne Kohn gekauft wurde, die sie am selben Heimatflughafen behielt. Sie benutzte diese Maschine für ihren Langstrecken-Soloflug von Paris (Orly) nach Ivato (nördlich der Hauptstadt Antananarivo) in Madagaskar.
Suzanne Kohn startete am 25. Mai 1939 in Orly allein an Bord ihrer Caudron Aiglon F-ANSN und landete am selben Tag in Marignane, um zu tanken, bevor sie das Mittelmeer überquerte und in Algier, Maison Blanche, landete, ebenfalls am 25. Mai 1939.
Danach folgte die lange Strecke nahe der Sahara mit Oran, Colomb-Béchar, Adrar, Reggan, Aguelock, Gao, Niamey, Zinder, Fort Archambault, Bangui, Bamako, Stanley-Stadt, Kassongo, dann Elizabethville im Kongo am 13. Juni, Tete in Mosambik, um schließlich Ivato auf Madagaskar am 19. Juni 1939 zu erreichen. Der Rückflug erfolgte am 10. Juli 1939 von Ivato aus über Nairobi (am 12. Juli) und dann den Nil aufwärts.
Der Rest der Strecke wird nirgends erwähnt, was sicherlich auf die unruhige Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist, aber wir wissen jetzt, dass Suzanne Kohn nicht mit ihrer Aiglon nach Paris zurückkehrte, sondern auf dem Weg nach Syrien einen Zwischenstopp einlegte und erst später mit dem Schiff und somit ohne ihr Flugzeug in Frankreich ankam.
Es wird angenommen, dass dieses zivile Flugzeug, wie viele andere, von der damaligen französischen Regierung requiriert wurde, um als Verbindungs- oder Trainingsflugzeug innerhalb der Armee de l’Air zu dienen. Die beschädigten Überreste dieser Caudron Aiglon (ex F-ANSN) wurden in einer Ecke eines Hangars auf dem Stützpunkt Rayack im Libanon entdeckt. So steht es auch in einem Artikel in der Fana Nr. 324 vom November 1996 zu lesen, der von Pierre Gaillard und Raymond Forge verfasst wurde.
Aber so wie ein Flugzeug zum Fliegen da ist, braucht es auch einen Piloten. Daher erschien es mir interessant, auf einen Piloten oder genauer gesagt eine Pilotin einzugehen, die sich auf dieser kleinen Caudron Aiglon mit ihrer ungewöhnlichen Geschichte einen Namen gemacht hat.
Es handelt sich um Suzanne Kohn. Sie ist zwar weit weniger bekannt als Maryse Bastié, Hélène Boucher und Elizabeth Lion, die auf einer Caudron Simoun flogen, aber wir wollen die Karriere dieser Fliegerin, die auch ihre Zeit geprägt hat, in wenigen Worten nachzeichnen.
Suzanne Kohn wurde 1911 in Paris als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Ihr Vater besaß eine Zuckerfabrik in Épernay. Im Alter von 16 Jahren veröffentlichte sie einen Roman und im Jahr darauf den Gedichtband „Zig-Zag“.
Im Juni 1936 nahm sie in Orly Flugunterricht bei besagtem Bernard Coyco, der dort eine kleine Flugschule betrieb, aber auch der Drittbesitzer der Caudron Aiglon F-ANSN war. Dort legte sie erfolgreich den Pilotenschein und im April 1937 den Kunstflugschein ab. Suzanne Kohn wurde die erste Französin, die die Prüfung für das höhere Navigatorenpatent erfolgreich absolvierte.
Suzanne Kohn war auch die erste Frau, die vom 25. Mai bis 19. Juni 1939 den Solo-Langstreckenflug Paris-Madagaskar erfolgreich zu Ende brachte. Als Fliegerin, Kunstflugpilotin, Krankenschwester der Armee de l‘Air und Navigatorin mit höherem Patent erlangte sie 1945 den Rang eines Leutnants in der französischen Luftwaffe.
1971 heiratet sie Georges Groussard. Im September 2000 starb sie im Alter von 89 Jahren zu Hause in Tourrette-Levens oberhalb Nizzas in den Seealpen.
Dieser historische Abriss wurde auf der Grundlage einer Wikipedia-Datenbank erstellt, die durch persönliche Recherchen angereichert wurde.
Ein großes Dankeschön nach Frankreich, an Dich, lieber Régis!
Aufmerksame Betrachter der Fotos haben vielleicht schon bemerkt, dass mein Modell auf der Seitenflosse die Typbezeichnung C.601 trägt. Hierbei handelte es sich um eine Weiterentwicklung der Grundkonstruktion C.600, die durch ein passgenaues Metallpaneel sehr schnell in einen Einsitzer umgebaut werden konnte.
Außerdem war die C.601 (Werksbezeichnung Aiglon Senior) mit dem leistungsgesteigerten Renault 4Pei ‚Bengali Junior‘ – Motor ausgerüstet, der nun ca. 150 PS Startleistung abgab. Das Triebwerk war als luftgekühlter Vierzylinder-Reihenmotor mit hängenden Zylindern ausgelegt und hatte einen Hubraum von 6,3 Litern.
Tragflächen und Rumpf der vom legendären französischen Luftfahrtingenieur Marcel Riffard konstruierten Aiglon waren, wie bei Caudrons Sport- und Rennflugzeugen üblich, überwiegend aus verschiedenen Holzelementen aufgebaut: Bei der C.714 Cyclone (dem missglückten Jagdflugzeugentwurf) handelte es sich z.B. um fünflagiges Birkensperrholz, Robinie und Fichte als Rohmaterial. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auch für die Aiglon galt.
Suzanne Kohns Maschine trug auf der linken Rumpfseite speziell für diesen Langstreckenflug eine kreisförmige Grafik, die Folgendes darstellte: Die landkartenartigen Umrisse Westeuropas, des Nahen Ostens, Afrikas und Madagaskars, umgeben von Meeresblau. Eine dunkle Linie zeichnet den Flugverlauf von Paris bis Ivato nach.
Und noch ein Detail erscheint mir erwähnenswert: An der Backbordseite der Motorenverkleidung ist eine gerundete Öffnung erkennbar. Hier ragt normalerweise ein um 90 Grad nach vorn gewinkeltes Rundrohr in den Luftstrom. Auf einem zeitgenössischen Foto der Maschine, welches wahrscheinlich in Madagaskar aufgenommen wurde, ist klar erkennbar, dass dieses (Ansaug-?) Rohr fehlt. Ob absichtlich entfernt oder während des Flugs abgefallen, ist nicht bekannt.
Das Modell
Die Begeisterung, die ich während des Baus der Rennmaschine Caudron C.561 für die Qualität der S.B.S Resin-Kits entwickelte, hielt auch hier voll und ganz an. Alle Teile sind (mit ganz wenigen Ausnahmen) perfekt gegossen, passgenau, verzugsfrei und detailscharf.
Tragflächen, Höhen- und Seitenflosse sind maßstabsgerecht filigran wiedergegeben und laufen in messerscharfe Hinterkanten aus. Das von S.B.S verwendete graue Gießharz ist sehr gut bearbeitbar und besitzt die nötige Zähigkeit, um auch feinsten Teilen eine recht hohe Bruchfestigkeit zu garantieren.
Der einzige Schattenwurf in diesem strahlenden Ambiente war ein fast 2 mm großer und tiefer Lufteinschluss an der Unterseite der linken Rumpfhälfte, den ich aufbohren und mit einem Stückchen Rundmaterial und viel Sekundenkleber auffüllen, verschleifen und auspolieren musste. Das ist aber auch wirklich alles, was es zu Bekritteln gab.
Um das Handling des Modells beim Airbrushen, Aufbringen der Decals und dem abschließenden Altern etwas nervenschonender zu gestalten, habe ich beide Tragflächen und alle Steuerflächen sicherheitshalber mit eingesetzten Messingpins verklebt. Die oben erwähnten messerscharfen Hinterkanten der Tragflächen und Steuerruder schützte ich, bis es schließlich ans Airbrushen ging, mit einem Kantenschutz aus doppelt aufgebrachtem Maskierband. Das würde ich jeder/m ernsthaft ans Herz legen, die/der diesen lohnenswerten Kit in Angriff nehmen möchte.
Ich gestehe, dass ich bereits beim ersten Auspacken des neuen Bausatzes eine Tragfläche durch eine ungeschickte Bewegung irreparabel ruiniert habe. Das Team von S.B.S sorgte aber für schnellstmöglichen und unbürokratischen Ersatz des beschädigten Teils und meine Arbeit konnte weitergehen. Daher gilt mein zweites Dankeschön in diesem Bericht Csaba von S.B.S!
Die Farbgebung des Modells erfolgte mit (meinen Lieblings-) Acrylfarben von Vallejo. Für die Metallictöne verwendete ich Airbrush-Farben aus dem Sortiment ‚Vallejo Acrylic Metal Color‘.
Tragflächen und Rumpf lackierte ich im Farbton ‚Semi-Matt Aluminium‘, da es sich beim Original ja um einen aufgespritzten silberfarbenen Metallic-Lack und nicht um eine Naturaluminium-Oberfläche handelte. Einzelne abgesetzte Metallpaneele und die mittig positionierte Landklappe lackierte ich im Farbton ‚Dark Aluminium‘.
Anschließend versiegelte ich das recht empfindliche Metallic-Finish mit Acryl-Glanzlack aus dem Hause Microscale (unter Zugabe von 25% destilliertem Wasser und zwei Tropfen ‚Vallejo Airbrush Flow Improver‘ im Airbrush-Behälter).
Die Decals aus dem Hause S.B.S benahmen sich auch dieses Mal wieder vorbildlich. Ich möchte sogar so weit gehen, dass es die besten Wasser-Schiebebilder sind, mit denen ich in den letzten Jahren gearbeitet habe: Die einzelnen Schiebebild-Elemente benötigen eine ungewohnt lange Einweichzeit, bis sie sich vom Trägerpapier lösen. Dann allerdings lassen sie sich unproblematisch auf das Modell aufbringen und in die richtige Position verschieben. Der Trägerfilm ist hauchdünn, glasklar und dennoch erstaunlich reißfest. Die Decals reagieren sehr gut auf den Weichmacher MicroSol und trocknen ohne den geringsten Ansatz von ‚Silvering‘ ab. Der Trägerfilm ist nach dem abschließenden Überlackieren mit Klarlack selbst im Schräglicht der Fotolampen nicht mehr erkennbar. Da muss sich meiner Meinung nach sogar die hochgelobte Marke ‚Cartograf‘ geschlagen geben.
Als letzten Arbeitsschritt habe ich ein eher dezentes, aber doch deutlich sichtbares ‚Weathering‘ vorgenommen. Die Aiglon F-ANSN war 1939 schließlich ein vier Jahre altes Flugzeug in vierter Hand, das auch schon von etlichen Flugschülern gequält worden war. Der Langstreckenflug von Paris-Orly nach Madagaskar mit etlichen Zwischenlandungen auf staubigen afrikanischen Pisten hat sicherlich auch im Cockpit und rund ums Flugzeug seine weniger eleganten Spuren hinterlassen.
Bei der Akzentuierung der Oberflächendetails benützte ich zum ersten Mal einen Acrylic Wash auf Wasserbasis – ebenfalls von Vallejo. Der Farbton ‚Light Grey‘ – hier auf silberfarbenem Untergrund – ist m.E. ausreichend stark pigmentiert, um sich bemerkbar zu machen, ohne penetrant in den Vordergrund zu drängen. Stärkere Verschmutzungen im Bereich des Motors, Auspuffs und der Räder habe ich wie immer mit verdünnten Ölfarben und Pastelstäuben in diversen Schattierungen dargestellt.
Abschließend kann ich nur ein weiteres Mal die Arbeit des Teams von S.B.S, sowohl bei der Auswahl ihrer Modellpallette als auch bei der anschließenden technischen Umsetzung in Kit-Form, vollmundig loben. Der Bau des Modells war nicht immer ganz einfach, da alle Teile sorgfältigst mit Feile und Schleifmitteln von ihren Angüssen befreit werden wollen. Wenn man hier die notwendige Zeit investiert, gelingt der Zusammenbau fast ohne Füll- und Schleifarbeiten.
Referenzen
Hier der Link zu Régis Biaux‘ Baubericht der Aiglon im Maßstab 1/72 mit einem Foto der Originalmaschine und Suzanne Kohn im Cockpit: Baubericht von Régis Biaux
Für alle, die sich ein Gefühl dafür verschaffen wollen, wie es sich anfühlte, in den 1930er Jahren allein mit einer kleinen Sportmaschine quer durch Afrika zu fliegen, habe ich noch zwei Buchtipps:
‚Alleinflug‘ von Elly Beinhorn und ‚West with the Night‘ von Beryl Markham.
Zwei Frauen, die in ihrem fliegerischen Können und ihrem Wagemut ihren männlichen Kollegen in nichts nachstanden. So wie Suzanne Kohn und viele andere auch, die leider längst vergessen sind.
© Modell, Bilder und Text: Werner Scheibling
Hallo Werner,
mir werden die Augen feucht, wenn ich diese perfekte Modell-Schönheit sehe! Die gelungenen Fotos verdeutlichen, wie wunderbar diese zeitlos-aufregenden Formen in ein meisterliches Modell umgesetzt werden können- wenn man es eben kann! In Verbindung mit der packend geschriebenen Geschichte ein wahrer Augenschmaus!
Gratulation und liebe Grüße
Roland