Im Dienst des Empire
Modell: Handley Page H.P.42 Heracles
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/144
Verwendeter Bausatz: Airfix (A03172V)
Eine Bemerkung möchte ich diesem Artikel voranstellen: bei kaum einem anderem Flugzeug dieser Ära habe ich derart verblüffend gutes und vielfältiges Fotomaterial gefunden, als bei der Suche nach Material zur H.P.42 Heracles! Auf Bilder, deren hervorragende Auflösung und exzellente Machart die Arbeit eines professionellen Fotografen verraten, sieht man das imposante Riesenflugzeug gekonnt ins Bild gesetzt. Mitunter posieren sorgsam arrangierte und gut gelaunte Flugpassagiere, die ihrer Kleidung und selbstsicheren Ausstrahlung nach zumindest der „upper class“ angehören, während Besatzung und Bodenpersonal im Hintergrund beflissen ihren Arbeiten nachgehen. Dies hat mich ehrlich erstaunt, denn zum einen flog das Vorbild immerhin schon in den Dreißigerjahren – aus dieser Zeit ist man derart qualitatives Fotomaterial nicht gewöhnt. Zum anderen zählt die H.P.42 ja nicht gerade zu den bekannten oder in großer Stückzahl gebauten Flugzeugmustern – wer könnte da eine solche qualitätvolle Bilderfülle erwarten?
Imperial Airways und die H.P.42 Heracles
Die Antwort auf diese Frage wird wohl in der besonderen Rolle zu finden sein, für welche die H.P.42 konzipiert worden war. Die Initiative für Entwurf und Bau dieses spektakulären Flugzeuges ging von Imperial Airways aus, einer Fluglinie, die ihren Anspruch im Titel trug: „Imperial“ war unter staatlicher Ägide nach dem ersten Weltkrieg eingerichtet worden, um die Verbindung des britischen Mutterlandes mit den weitverstreuten Kolonien und dominions des britischen Empire mittels des Flugzeuges zu beschleunigen. Zu Beginn der Dreißigerjahre hatte das Unternehmen die wildesten Pioniertage hinter sich, die Flugrouten waren kartographiert und erprobt – und Imperial Airways konnte mit verlässlichen Langstreckenflügen zu Zielen wie Kairo, Karatchi oder Hong Kong die Errungenschaften und Vorzüge des British Empire repräsentieren. Zu diesem Zweck sollte ein neuer Flugzeugtyp angeschafft werden, der Zuverlässigkeit, Sicherheit und Reichweite mit jenem Luxus verbinden konnte, den das betuchte Publikum von Imperial erwartete.
Handley Page nahm diese Herausforderung gerne an, da man nicht nur im Bereich des Großflugzeugbaues auf jahrelange Erfahrung verweisen konnte, sondern mit der firmeneigenen Handley Page Transport Co Ltd auch eine jener vier Fluglinien gestellt hatte, die im Jahr 1924 zur Imperial Airways fusionierten.
Am 14. November 1930, zwei Jahre nach Beginn der Planungen, konnte die erste H.P.42 mit dem Eigennamen „Hannibal“ zum Erstflug abheben. Imperial war von den Leistungen des neuen Langstreckenflugzeuges beeindruckt und orderte plangemäß acht H.P.42. Vier Maschinen waren für die Langstreckenflüge nach Afrika und Indien vorgesehen und bekamen daher den Zusatz „E“ für „East“, während die vier verbleibenden H.P.42 “W“ (für „West“) für europäische Ziele eingesetzt werden sollten. Alle acht H.P.42 bekamen übrigens Namen, die mit dem Buchstaben H beginnen: so flogen bis zum 1. September 1939 die H.P.42 Hannibal, Horsa, Hanno, Hadrian, Heracles, Horatius, Hengist und Helena im Dienst der Imperial Airways.
Alle acht H.P.42 wurden den Aufgaben, für die sie geschaffen worden waren, gerecht. In einer Zeit, in der das Fliegen noch wesentlich unberechenbarer, unfallträchtiger und abenteuerlicher war als heute, trug die Heracles bis September 1939 auffallend wenig zu den Unfallstatistiken bei. Dies mag auch am konstruktiven Konzept liegen, das auf Bewährtes setzte, ohne dabei auf moderne Elemente zu verzichten. So war die H.P.42 noch als konventioneller Doppeldecker mit großer Flügelfläche und langsamer Fluggeschwindigkeit ausgelegt, andererseits wurde dieses Layout aber als moderne Ganzmetallkonstruktion umgesetzt. Nur die Ruderflächen und einzelne Segmente der Tragflächen blieben mit Stoff bespannt bzw. wurden mit Holz beplankt.
Die Verstrebungen zwischen den beiden Tragflächen waren als stabile Konstruktion nach dem Prinzip gleichschenkeliger Dreiecke ausgelegt. Die Sicherheit sollte durch die Verwendung von automatischen Vorflügeln auf der oberen Tragfläche weiter erhöht werden.
Imperial Airways hatte großen Wert auf die Fähigkeit gelegt, von unvorbereiteten Graspisten landen und starten zu können und daher überlegene Langsamflugeigenschaften eingefordert. Die H.P.42 war dementsprechend auch mit gemütlichen 160 km/h Reisegeschwindigkeit – bei 190 km/h Spitze – unterwegs. Angetrieben wurde die H.P. Heracles von vier Bristol Jupiter XIF, die je 500 PS auf vier hölzerne Propellerblätter wirken lassen konnten. Die Reichweite der maximal 12.700 kg schweren Maschine betrug über 800 Kilometer.
In luxuriöser Umgebung wurden bis zu 24 Passagiere in zwei getrennten Abteilungen bei vollem Bordservice untergebracht. Bezeichnend ist, dass die Innenausstattung dieser Abteile nach Anweisung der Auftraggeber am stilvollen Erscheinungsbild der Pullmann-Garnituren des Orient-Express orientiert wurde. Luxuriös gepolsterte Sitzmöbel, die anfangs zugunsten des Komforts nicht einmal mit Gurten ausgestattet waren, sollten in Verbindung mit großen Fenstern das Ambiente eines Eisenbahnwaggons der ersten Klasse verbreiten. Was dem Komfort allerdings ein wenig entgegenstand, waren die Auswirkungen der eingeforderten Fähigkeit zu langsamem Flug: bedingt durch die große Flügelfläche und der geringen Geschwindigkeit schwang die Heracles bei geringsten Turbulenzen lebhaft um alle Achsen Die Häufigkeit und Intensität von air sickness im allgemeinen und Übelkeit im speziellen war, wie Zeitzeugen berichten konnten, ein wesentlich größeres Thema als in späteren Zeiten.
Zur H.P. Heracles G-AAXC
Die hier als Modell vorgestellte H.P.42(W) Heracles wurde vom August 1931 bis zum Kriegsausbruch auf europäischen Routen eingesetzt. Regelmäßig angeflogene Ziele waren Paris, Köln und Zürich. Dies tat die als G-AAXC registrierte Maschine so zuverlässig, dass schon im Juli 1937 eine Million Flugmeilen im Bordbuch vermerkt werden konnten. Ganz der ausgezeichneten Reputation des Typs entsprechend, erflog auch sie diese Leistung ohne jeden Unfall oder anderer Unregelmäßigkeit. Ihr Ende jedoch erwies sich dann jedoch als ausgesprochen „stürmisch“. Am 3. März 1940 war sie von der RAF übernommen worden, wurde jedoch schon am 19. März am Stützpunkt Whitchurch von einem Sturm mit derart großer Wucht auf H.P.42 Hanno geblasen, dass beide Flugzeuge abgeschrieben werden mussten.
Zu Bausatz und Bauprozess
Die H.P.42 Heracles von Airfix zählt zu jenen Bausätzen, die ich seit meiner Kindheit kenne – kein Wunder, sind die Formen mit dem Ersterscheinungsdatum 1965 doch zwei Jahre älter als ich. Das schöne Schachtelbild mit der gravitätisch fliegenden Heracles vor den Pyramiden von Gizeh hat sicherlich nicht nur mich träumen lassen!
Die Teile hielt ich jedoch erst wesentlich später in Händen: 2021 brachte Airfix in der Serie Vintage Classics eine Neuauflage dieses antiken Bausatzes auf den Markt. Da die Aussicht auf neu gedruckte und damit verwendbare Decals bestand, habe ich mich nun an dieses Abenteuer gewagt. Wie bei jedem guten Abenteuer bestand auch hier die grundsätzliche Möglichkeit des Scheiterns. Dies wurde mir schnell angesichts der vollkommen überdimensionierten Rippenstrukturen der Tragflächen, der mangelnden Qualität der Klarsichtteile und der zeittypisch wenig detaillierten Oberflächen und fehlenden Details schnell klar. Andererseits hatten die Teile einen gewissen Charme – und die Wellblechstruktur des Rumpfes schien mir ganz gut eingefangen.
Bei aller Kompromissbereitschaft, die angesichts des Maßstabs und des Bausatzalters unumgänglich ist, war es mir doch eine Freude, meine Fähigkeiten im Improvisieren ein wenig auszureizen: gerade bei den zahlreichen Detailformen, die außen am Rumpf zu finden sind, im Bausatz aber in keiner Weise berücksichtigt werden, wollte ich mich nicht so schnell geschlagen geben. So habe ich die Antennen, Auspuffrohre, den fahrtwindbetriebenen Generator, das Pitotrohr sowie die Verkabelungen der Motoren recherchiert und dann selbst dazu gebaut. Ebenso folgten am Leitwerk die Details der Verspannungen sowie ein völlig neu aufgebautes Heckrad/Fahrwerksbein. Aus Reste-Ätzteilen sind auch die Kotflügel der beiden Hauptfahrwerksbeine neu aufgebaut. Die Verspannung zwischen den beiden Flächen wurde mit sehr dünnem Flachdraht ausgeführt.
Dies alles hat ein wenig Zeit beansprucht, was neben Zeit aber auch viel Energie benötigt hat, war das Abschleifen der viel zu übertrieben dargestellten Rippenstruktur auf allen Flächenseiten. Vorsichtig beginnend, habe ich schlussendlich die gesamte Rippenstruktur beseitigt. Diese erschien mir angesichts der Originalbilder und des sehr kleinen Maßstabs als die beste Lösung. Erhalten blieben die Rippen nur dort, wo auch das Original eine Stoffbespannung zeigt, etwa an den Flächen des Leitwerks und an den Vorflügeln. Nimmt man sich dieses Bausatzes an, ist generell mit einem hohen Bedarf an Versäubern und Vorbereiten zu rechnen. So gut wie alle Teile zeigen Variationen des Themas „Fischhaut“ und müssen vorbereitet werden.
Die Bausatz-Klarsichtteile der Kabinenfenster sind sehr dick und ungleichmäßig gegossene „Butzenscheiben“, daher war schnell klar, dass ich sie am Ende des Bauprozesses mit der „Klearfix“-Methode einsetzen würde. Dies hat dann auch wunderbar funktioniert. Spannend war auch noch, wie sich die Decals auf der sehr kleinteilig strukturierten Wellblechoberfläche verhalten würden. Glücklicherweise hatte die wiederholte Verwendung von Weichmachern und Fixierflüssigkeit sie schlussendlich doch noch überzeugt, sich zufriedenstellend in die feinen Vertiefungen hinein zu schmiegen.
Fazit
Abschließend kann ich sagen, dass ich den Bau dieses ehrwürdigen Airfix Bausatzes wirklich genossen habe. Einerseits fordern die fragile Doppeldecker-Natur des Vorbilds und der ungewohnt kleine Maßstab Einfallsreichtum und Ausdauer, andererseits aber entspannen diese Bedingungen beinahe schon wieder: „Perfektion“ ist für meine Fähigkeiten hier ohnehin nicht möglich, was aber bleibt, ist der Spaß, das Beste versucht zu haben. Gerne kehre ich jetzt zu etwas weniger komplexen Modellbauaufgaben zurück, allerdings nicht ohne mich schon auf die nächste Modellbauabwechslung a la´ „H.P. Heracles/Airfix“ zu freuen!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer