Handley Page Heyford - ein Anachronismus mit Wiedererkennungsgarantie
Modell: Handley Page Heyford Mk.I
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/72
Verwendeter Bausatz: Matchbox (PK-605)
Die Heyford von Matchbox zählt zu den frühen Modellen, über die ich mich in meiner Kindheit gewagt habe. An die Freude über ein sicher alles andere als erstklassiges Ergebnis erinnere ich mich noch heute. Deshalb war es eine besondere Freude, einen dieser rar gewordenen Bausätze erwerben zu können.
Ich möchte eingangs einfach einmal eine Behauptung aufstellen, über deren Relevanz nach der Lektüre von Bildern und Informationen nachgedacht werden darf: ich denke, dass, hat man einmal auf Bildern eine Handley Page Heyford gesehen, ihr Aussehen nicht mehr vergessen und sie auch stets wiedererkannt wird!
Zur Handley Page Heyford
An der Wende der 20er zu den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielte sich in der Flugzeugentwicklung eine technische Generationenablöse ab, der die Gestalt damaliger Entwürfe entscheidend prägte: offene Cockpits wurden gegen geschlossene getauscht, die Fahrwerke konnten nun eingezogen werden, selbsttragende Metallrümpfe verbargen unter ihrer Alu-Haut den inneren Aufbau, der sich bei stoffbespannten Konstruktionen noch offen unter dem gespannten Textil abgezeichnet hatte. Nicht zuletzt wird dank entscheidender Entwicklungen in der Aerodynamik der Eindecker zum Standard.
Analysiert man vor diesem Hintergrund das Erscheinungsbild der erstaunlichen HP Heyford, wird schnell eines klar: bei aller Unkonventionalität ist dieser Entwurf dem alten Denken verpflichtet, er setzt noch einmal Traditionen fort, die schon zum Zeitpunkt des Erstflugs als veraltet gelten mussten. Wie kann es zu dieser seltsamen Konstruktion?
1928 schrieb man im Vereinigten Königreich den Entwurf eines Bombenträgers aus, der speziell den Bedarf eines schweren Bombers für Nachtangriffe decken sollte. Der damalige Standardbomber Vickers Virginia, eine plumpe und wenig inspirierende Maschine, hätte, was Leistung und konstruktive Merkmale betrifft, direkt aus dem Jahr 1918 stammen können. Die Ablöse mit einem leistungsstärkeren Muster tat daher dringend not.
Die Erwartungen an einen neuen Entwurf scheinen dabei dennoch eher bescheiden gewesen zu sein: die Ausschreibung verlangt gerade einmal 700 Kilogramm an Zuladung und eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h. Allerdings forderte man explizit und praxisorientiert auch Eigenschaften wie unkomplizierte Wartung oder ein ergonomisches Layout, das der Besatzung ermüdungsarme Bordroutinen ermöglichen sollte.
Die großen Hersteller beteiligten sich rege. Vickers etwa präsentierte mit der Vickers Type 150 und Type 163 äußerst konservative Lösungen. Sieht man sich diese Prototypen an, fällt die Vorstellung schwer, dass sich dahinter entscheidende Fortschritte verbergen könnten. Bei Fairey entsteht die Hendon. Hier ist die Sache allerdings eine andere! Geschlossenes Cockpit und aerodynamisch sauber verkleidete Motoren und ein ebensolches Fahrwerk weisen deutlich in die Zukunft. Tatsächlich werden von dieser Heyford-Konkurrentin gut 60 Exemplare gebaut, die folgend bei zwei Staffeln für einige Jahre geflogen werden.
Der große Sieger der Ausschreibung ist jedoch die Handley Page Heyford! George Volkert, Chefingenieur bei HP, legt hier einen Entwurf vor, der es schaffte, Bewährtes mit unkonventionellem Layout zu verbinden. Bestimmendes Merkmal ist der an der oberen Fläche montierte Rumpf, der den Flugzeugführersitz in beachtliche fünf Meter Höhe hebt. Die auf diese Weise bis knapp zum Boden abgesenkte untere Fläche beherbergt im verdickten Mittelteil die Bombenlast, außerdem werden in diesem Bereich aerodynamisch günstig die Fahrwerksverkleidungen in die Tragflächenform eingebunden.
Die beiden Triebwerke – hier kommen eine ganze Reihe Motoren mit klingenden Namen wie der Napier Lion, Bristol Jupiter oder R&R Kestrel zur Erprobung – sind weit über den Boden gelegen und erlauben so die Beladung des Bombers bei laufenden Motoren. Das Layout des Rumpfes an der oberen Fläche lässt eine effiziente Abwehrbewaffnung zu: sind die beiden offenen MG-Stände am Bug und Rumpfrücken noch konventionell und zu erwarten, zeigt der untere Abwehrstand Ungewöhnliches: Mittels eines dreh- und vor allem absenkbaren „dustbin“ Waffenstandes wird ein drittes Vickers-MG zum Tragen gebracht.
Ein ähnliches Tragflächen-Rumpf Layout hat man übrigens zuletzt und einzig bei der Gotha G.I der letzten Weltkriegsjahre gesehen. George Volkerts Ingenieurskunst kann jedoch auch modernste Entwürfe umsetzen, wie er wenig später mit zwei bekannteren Bombern beweist: die Handley Page Hampden wie die ikonische HP Halifax entstammen ebenfalls der Entwurfsarbeit Volkerts.
Zu Beginn der Dreißigerjahre wird die RAF jedoch mit dem neuen Muster ausgerüstet. Die Auslieferung der Heyford an Einsatzstaffeln startet 1933, insgesamt fliegen beachtliche zwölf Squadrons und damit die Mehrzahl der Bomber-Einheiten der RAF den ungewöhnlichen Bomber. Die Heyford ist so zwar weitverbreitet, Ihre Einsatzzeit jedoch vergleichsweise kurz. Mit dem Auftauchen neuer Muster wie der A.W. Whitley oder der Vickers Wellington galt das Muster spätestens ab 1937 als veraltet und begann, von den Bomberstaffeln zu Einheiten der zweiten Linie abzuwandern. Als neue Einsatzfelder der Heyford wurden nun einerseits Aufgaben in der Trainerrolle, hier speziell zur Ausbildung von Bordschützen, andererseits in der Nutzung als Seglerschlepper gefunden. In diesen Rollen dient die Heyford selbst noch nach Kriegsausbruch bis ins Jahr 1941.
Bei einem derart ungewöhnlichen Muster sind auch die technischen Eckdaten interessant. Die Höhe der Konstruktion ist schon angesprochenen worden: bis in 5,3 Meter ragte der höchste Teil der Heyford, während sich Länge und Spannweite auf 18 und 23 Metern belaufen. In der gezeigten Version liefern zwei Roll-Royce Kestrel II-S Reihenmotoren je 525 PS, welche die mit 7,6 Tonnen Leergewicht nicht gerade leichte Konstruktion auf 229 km/h Höchstgeschwindigkeit beschleunigen konnten. Im Bombenschacht und an Außenstationen wurden bis zu 1.340 Kilogramm Bomben mitgeführt.
Die Besatzung der Heyford bestand aus vier Mann: Pilot und Copilot befanden sich im offenen Cockpit, während Bombenschütze und Funker zusätzlich auf wechselnden aber jeweils äußerst luftigen Positionen als Bordschützen aktiv werden mussten.
HP Heyford Mk.I, K3498
Die hier gezeigte Heyford Mk.I war Mitte der 30er Jahre Teil des „A“ Flights der 99th Squadron, (passenderweise) stationiert auf der Basis RAF Upper Heyford in Oxfordshire. Die Mk.I zeigt noch den Zweiblatt-Propeller anstelle der späteren, recht rustikal übereinander gedoppelten Vierblatt-Props der späteren Versionen. Versionstypisch sind auch die beiden an den oberen Flächen sitzenden Generatoren, die über den Luftstrom angetrieben wurden. Bei nachfolgenden Versionen hatte man diese gegen eine interne und über die Motoren angetriebene Stromquelle ausgetauscht.
Zum Bausatz
Man braucht heutzutage schon etwas Glück, um noch einen der bejahrten Matchbox-Bausätze dieses seltsamen Doppeldeckers zu finden. Dieses Glück hatte ich – und das gleich doppelt: nachdem die Original-Decals des aus dem Jahr 1980 stammenden Bausatzes nicht mehr zu gebrauchen waren, fand ich eine exakte und hochqualitative Replik dieser Decals, die ein tschechischer Hersteller dankenswerterweise anbietet.
Die erste Hürde war damit genommen, die weiteren Besonderheiten, die ein derart ehrwürdiger Bausatz an einen heutigen Modellbauer stellt, sollten zwar ebenfalls ein wenig Aufwand aber keineswegs Ärger bedeuten. Der recht rudimentäre Innenraum wurde an den einsehbaren Stellen mit angemessenen Details gefüllt – mein Dank geht wieder einmal an meine unschätzbar wertvolle Ätzteil-Restekiste! Schönerweise gibt es von der Heyford eine ganze Menge brauchbarer Bilder, die das Innen- wie Außenleben des Bombers nachvollziehbar macht. Von diesen Quellen inspiriert, habe ich mich im Bug- und Kanzelbereich, aber auch bei dem prominenten Waffenstand unter dem Rumpf um ein paar Verfeinerungen, Sitzgurte natürlich inklusive, bemüht.
An zugekauften Details finden sich nur die drei Vickers-MG, diese stammen von Gaspatch und sind von allerhöchster und begeisternder Qualität.
Am schmalen hinteren Rumpfteil wurde der massivste Eingriff in die ursprünglichen Bausatzformen vorgenommen: nachdem ich die Darstellung der Stoffbespannung, in der sich recht prominent längslaufende Stringer abzeichnen, etwas gar grob beziehungsweise falsch gestaltet fand, wurde hier zu Schleifpapier und Säge gegriffen. Als erstes sollte der Rumpf an beiden Seiten um die Materialstärke zweier Plastikplatten dünner geschliffen werden. Auf diese so präparierten Stellen wurden folgend zwei zugeschnittene Polystyrol-Streifen geklebt, die zuvor mit dem stumpfen Spitze eines Kugelschreibers die „Stringer“-Kanten eingeprägt bekommen haben. Nachdem alles gut geklebt, versäubert und verschliffen war, hat sich tatsächlich ein passender Gesamteindruck eingestellt – was mich natürlich angesichts des getriebenen Aufwands zufrieden machte.
Einsatz verlangt ein derartiges Modell natürlich auch bei der Darstellung der Verspannung. Glücklicherweise konnte ich hier auf eine gewisse Erfahrung bei der Verwendung von profiliertem „aerodynamischem“ Draht zurückgreifen. Dabei werden die kürzeren Drahtlängen in vorgebohrten Öffnungen verklebt, während längere Abschnitte vorerst nur an einer Seite geklebt werden. In einem folgenden Schritt führt man die gegenüberliegenden losen Enden durch eine Bohrung. Nun kann das überstehende Drahtstück unter Spannung gesetzt werden, während das Bohrloch mit CA-Kleber gefüllt wird. Nach dem Aushärten wird das überstehende Drahtstück abgeschnitten. Ich warte meistens einen Tag, bevor ich die Klebstelle verschleife, danach kann neu lackiert werden.
Der Aufwand beim Bau einer Heyford ist auf diese Weise anscheinend kein kleiner, andererseits kommt man durch die gediegene Qualität der Teile auch wieder relativ schnell zu einem Ziel. Dies ist auch als Ermutigung zu verstehen, diesen gut gemachten Bausätzen die Ehre zukommen zu lassen, auch wirklich gebaut zu werden!
Zum Abschluss möchte ich auf meine eingangs aufgestellte Behauptung zurückkommen: kann ein so prägnantes Flugzeug wie die Heyford je vergessen werden?
Wie auch immer die Antwort des geschätzten Lesers am Ende des Textes ausfallen wird, eines ist nach diesem Projekt für mich gewiss: ich werde nicht nur eine Heyford jederzeit problemlos wiedererkennen, sondern mich auch an die Freude erinnern, die einer dieser schönen Matchbox-Bausätze bereiten kann. Beides hat hohen und willkommenen Nostalgiefaktor!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer