Prisoner of war
Modell: Kawanishi N1K1 Shiden „George“
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/48
Verwendeter Bausatz: Hasegawa (SP447)
Zur Auswertung erbeuteter japanischer Flugzeuge: die Arbeit der „Tactical Air Intelligence Units“ TAIU, illustriert am Schicksal der N1K1-J Shiden „341S-23“
Alle Konfliktparteien des 2. Weltkriegs versuchten so viel wie möglich über Material und Potential der gegnerischen Rüstungsanstrengungen in Erfahrung zu bringen. In welcher Form diese nachrichtendienstlichen und technischen Bemühungen am besten stattzufinden hätten, hing nicht nur von den militärischen Umständen ab, sondern auch von den klimatischen und geografischen Eigenheiten der jeweiligen Schauplätze. So hielten die weiten Räume des Pazifiks eine besondere Schwierigkeit bereit, an gegnerisches Material zu gelangen: abgeschossene Flugzeuge verschwanden meist in den unzugänglichen Tiefen des Ozeans oder schlugen in namenlosen und unzugänglichen Dschungelgebieten auf. Ersteres verunmöglichte eine Bergung und Auswertung gänzlich, zweiteres erschwerte – falls überhaupt möglich – eine Bergung ungeheuer.
So war der Fund zurückgelassenen intakten Flugzeugmaterials immer ein Glücksfall. US-Truppen wurden schon bald eindringlich instruiert, wie mit dem fliegenden Fundmaterial umzugehen war, war doch neben gefechtsbedingtem Vandalismus die kaum einzudämmende Sitte der „Souvenirjägerei“ eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefährdung einer nachfolgenden Auswertung des gegnerischen Materials.
Die hier gezeigte N1K1-J Shiden war ein Flugzeugmuster, das für die amerikanische Seite von besonderem Interesse gewesen sein dürfte. Mit der einmaligen Geschichte, als überragender Entwurf vom Wasserflugzeug N1K1 Kyofu („Rex“) zum Landflugzeug N1K1 Shiden („George“) weiterentwickelt worden zu sein, dürften sich die Fachleute vom TAIU-SWPA (Tactical Air Intelligence Unit – South West Pacific Area) in besonderem Maß für dieses Flugzeugmuster interessiert haben. Die N1K1, kraftvoll motorisiert, schnell, wendig und reichweitenstark sowie mit einem beeindruckenden Arsenal an vier 20mm Maschinenkanonen und zwei 7,62mm Maschinengewehren bewaffnet, konnte sich im Luftkampf mit dem Besten, was die Alliierten zu bieten hatten, auf mehr als Augenhöhe messen.
Die abgebildete Shiden mit der Kennung 341S-23 gehörte bis zum Oktober 1944 zur 341 Kokutai, 402 Hikotai, einer Einheit, die auf den Philippinen stationiert war und von Flugfeldern in und nahe der Hauptstadt Manila aus Einsätze gegen die vorrückenden Alliierten flog. Nach Eroberung der Insel war sie intakt mit einer Anzahl weiterer japanischer Flugzeuge auf Clark Field nahe Manila aufgefunden worden. Genau für solche Fälle hatten die Amerikaner eine frontnah operierende Spezialeinheiten geschaffen, die derartige Funde bergen, auswerten und, wenn möglich erproben sollte: die TAIU beziehungsweise „Tactical Air Intellicence Unit“!
Die erste dieser Einheiten nahm ab November 1942 ihre Aktivitäten auf. Als TAIU-SWPA (South West Pacific Area) bezeichnet, arbeiteten hier die US-Navy, das USAAC beziehungsweise USAAF sowie die Royal Australian Air Force zusammen. Das Hauptquartier wurde in der Eagle Farm Air Base nahe dem australischen Brisbane angelegt. Hier fand auch die Erprobung flugfähig gemachter japanischer Beutemaschinen statt. Ab 1943 wurde die TAIU-SWP von drei weiteren Einheiten unterstützt: die ATAIU SEA, welche die Aktivitäten von USAAF und der RAF bündelte, die TAIU-POC (Pacific Ocean Areas) deckte die Einsatzraum der pazifischen Inselwelt ab, sowie die TAIU-China, welche auf dem chinesischen Kriegsschauplatz erbeutete Maschinen auswertete.
Die Sicherstellung gegnerischen Flugzeugmaterials zielte übrigens nicht nur auf eine mögliche Flugerprobung ab. TAIU- Einheiten wie „JAPLATE“ hatten etwa die spezialisierte Aufgabe, die Plaketten mit Seriennummern von mit diesen gekennzeichneten Bauteilen wie Motoren, Funkgeräten oder Waffen zu bergen und auszuwerten, um so eine aktuelle Vorstellung von Struktur und Potential der japanischen Rüstungsindustrie zu bekommen.
Eine interessante Neuorganisation fand Mitte 1944 statt. Bis zu diesem Zeitpunkt war gegnerisches Material von den TAIUs bevorzugt in den jeweiligen Kriegsschauplätzen erprobt worden, auf das US-Festland selbst gelangten nur sporadisch Beuteflugzeuge, die dort dann entweder vom „Naval Air Test Center“ beziehungsweise unter Aufsicht der Air Force von der „Test Training Unit“ untersucht wurden. Auch das „National Advisory Comittee for Aeronautics“ (NACA), direkter Vorläufer der NASA, war in diesen Auswertungen involviert. Um diese verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren und die Zusammenarbeit mit den einzelnen TAIU´s zu unterstützen wurde im Sommer 1944 auf dem Navy- Stützpunkt Anacosta mit TAIU- Personal eine Basis eingerichtet, in der zukünftige Erprobungen des auf das US-Festland gelangtem Material zentral stattfinden würden.
Zum Original: N1K1-J Shiden 341S-23
Zum Zeitpunkt der Eroberung der Philippinen im Oktober 1944 war diese Umstrukturierung also schon vollzogen. Gemeinsam mit der Shiden 341S-23 wurde auf Clark Field eine Reihe der modernsten japanischen Flugzeuge erbeutet. Unter den einmotorigen Jägern befanden sich neben weiteren N1K1 noch Ki-84 Hayabusa „Frank“, Ki-44 Shoki „Tojo“, oder J2M3 Raiden „Jack“, also alles Muster der neuesten und tödlichsten Jagdflugzeuggeneration der japanischen Marine- und Heeresluftwaffe. Eine große Anzahl dieser Beutestücke wurden in die USA verbracht. Ein Schicksal, das auch für diese Kawanishi N1K1 Shiden 341S-23 geplant war. Wie sich bald zeigte, würde es dazu allerdings nicht mehr kommen.
Die Maschine, deren Markierung mit einer gelben „23“ auf den Fahrwerksverkleidungen auch bei der Umlackierung in das Naturmetallfinish der bei der TAIU-SWPA geflogenen Maschinen erhalten geblieben war, sollte die Philippinen nicht mehr verlassen: schon beim ersten Erprobungsflug kollabierte bei der Landung die Mechanik eines der Fahrwerksbeine – und die Maschine machte einen veritablen Bruch, der die Zelle irreparabel beschädigte.
Überraschend kam das nicht: Probleme mit den ungewöhnlich hohen und komplexen Fahrwerksbeinen hatten Entwicklung und Einsatzgeschichte der N1K1 stets begleitet. Das Ende der „gelben 23“ illustrierte so einen der zwei wesentlichen Nachteile der ansonsten mit vielen Vorzügen ausgestatteten Shiden. Der andere Hemmschuh bestand aus dem Einbau eines in der Theorie hervorragenden Motors, einer Neuentwicklung, die zu den stärksten Treibwerken zählte, die Japan je serienreif entwickelt hatte. In der Praxis zeigte sich der 1.990 PS leistende Nakajima N9K Homare jedoch als noch nicht ausgereift und störanfällig. Die unbewältigten Kinderkrankheiten dieses neuen Hochleistungstreibwerks behinderten die N1K1 Shiden Zeit ihrer Existenz und verhinderten die Entfaltung ihres vollen Einsatzpotentiales.
Zu Bausatz und Bauprozess
Die interessante und wechselvolle Geschichte der N1K1 See- und Landversionen von der Kyofu über die Shiden bis zur überarbeiteten Version N1K2 Shiden-Kai beleuchte ich in meinem Artikel zum ersten „Shiden“-Modell Auf diesen Artikel darf ich auch verweisen, falls Interesse am Bauprozess oder die Hasegawa Bausatzteile bestehen.
Hier darf ich aber schon soviel verraten: die N1K1 Shiden von Hasegawa lässt sich auch im Rahmen heutiger Ansprüche zu einem schönen und von der Detailierung her durchaus überzeugenden Modell bauen. Beide Modelle wurden aus der Schachtel gebaut, die einzigen Ergänzungen finden sich in Form von Eduard-Sitzgurten und eines neuen Pitot-Rohrs aus zwei ineinandergeschobenen Spritzenkanülen. Die Decals dieser N1K1 Shiden stammen wie beim ersten Modell aus dem Bausatz.
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer