709,202 km/h
Geschwindigkeitsweltrekord seit 1934
Modell: Macchi MC 72
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/48
Verwendeter Bausatz: AMP (48018)
Die Zwanziger- und Dreißigerjahre waren die große Zeit der Luftrennen, wobei deren Bedeutung über das Aufsehen eines bloßen Spektakels weit hinausging. Die Luftfahrt als eine gerade einmal zwei Dezennien junge Technologie war dabei, ihre Flügel auszubreiten und die Welt zu verändern: der Pulsschlag der technischen Innovationen war dabei ebenso rasant wie rasend, Geschwindigkeits- Reichweiten- oder Höhenrekorde wurden im Jahrestakt aufgestellt, um kurz darauf gleich wieder überboten zu werden.

Der Fortschritt der Luftfahrt zeigte sich aber nicht nur in glamourösen Rekorden, sondern auch in der Entwicklung der Grundlagen: die zu Beginn noch teilweise unverstandene und mehr empirisch betriebene Kunst des Fliegens wurde im Zuge dessen mehr und mehr verstanden und auf wissenschaftlich-berechenbare Basis gestellt, was das Tempo des Fortschritts weiter beschleunigen sollte.
Der dröhnende Rhythmus drehender Propeller schien ebenso gut wie die damit verbundene Aura himmelstürmender Pilotenhelden zum Lebensgefühl jener unruhigen, rasenden Zeiten zu passen. Das Neue, Revolutionäre und vorwärts Drängende, das sich darin verkörperte, machte die Fliegerei auch als massentaugliche Projektionsfläche für die rechten wie linken totalitären Regime, die sich in jenem „Zeitalter der Diktatoren“ etablierten, interessant.
Kurz: die großen Luftrennen, zu deren populärsten die jährlich abgehaltene Schneider-Trophy zählte, waren Schaubühnen, auf denen die fähigsten Vertreter der verschiedenen nationalen Luftfahrt- und Rüstungsindustrien ihre Potenz messen konnten, wobei damit auch Renommee und geltungshungriges Prestige der beteiligten rivalisierenden Nationen verhandelt wurde.
Nach dieser langen Vorrede aber nun endlich zur Macchi-Castoldi MC 72! Hinter deren Entwicklung stand niemand anderer als der einflussreiche Luftkriegstheoretiker und damaliger italienischer Luftfahrtminister Italo Balbo: er beauftragte im Jahr 1930 „Aeronautica Macchi“ in Varese mit der Entwicklung einer neuen Rennmaschine für die nächste Schneider Trophy, die im September 1931 im englischen Calshot Spit stattfinden würde.
Der Zeitrahmen war damit für Macchis Chefkonstrukteur Mario Castoldi denkbar knapp gesteckt. Die Kürze der Zeit sorgte für radikale Lösungen: als Antrieb wurde ein Doppel-Reihenmotor angedacht, wobei man sich an die Motorenhersteller bei FIAT wandte. Ausgewählt und bei den fünf produzierten Maschinen eingebaut wurden schließlich zwei FIAT AS 5 12-Zylinder Reihenmotoren, die Rückfläche an Rückfläche in den langen schlanken Rumpf des neuen Entwurfs montiert wurden. Dieses als AS 6 bezeichnete Doppelaggregat leistete im Betrieb mit einem einstufigen Lader 2.500 PS, konnte aber mit einem speziellen Treibstoffgemisch aus 55 % Benzin, 23 % Äthanol und 22 % Benzol auf etwa 3.100 PS Leistung gebracht werden.
Um die Stirnfläche möglichst klein zu halten, wurde die Wasser- und Ölkühlung des in jedem Sinne „heißen“ Motor-Monsters nach dem Prinzip der Oberflächenverdampfung konzipiert, eine für Rennflugzeuge jener Tage nicht ungewöhnliche Lösung. Die messingglänzenden Verdampfungs-Flächen an den beiden Schwimmern sorgten für die Ölkühlung, während die Verdampfungsflächen an den Flügeln die Temperatur des Kühlwassers stabil hielten. Die gegenläufigen Luftschrauben, je von einem der beiden Motoren angetrieben und hintereinander gezündet, sollten das gewaltige Drehmoment ausgleichen – eine Vorhaben, das, wie sich bald zeigen sollte, nicht immer nach Plan aufging.
Die im Leergewicht 2.505 kg (vollgetankt: 2.907 kg) auf die Waage bringende Rennmaschine war im Wesentlichen aus einer leichten Stahlrohrkonstruktion mit aufgesetzter Sperrholzverkleidung aufgebaut, nur der Rumpfvorderteil um die beiden Motoren war mit Metall beplankt. Die Ruderflächen des Leitwerks waren stoffbespannt. Rennmaschinen zeichnen sich meist durch kompakte Abmessungen aus: die MC 72 entsprach mit 8,32 Metern Länge und einer Spannweite von 9,48 Metern dieser Vorstellung.
Zur Jahresmitte 1931 schien das Team um Mario Castoldi tatsächlich das Unmögliche geschafft zu haben: im Juni 1931 startete Testpilot Mati die MC 72 mit der Registrierung MM 177 zum Erstflug auf dem Gardasee. Das eine extrem hochgezüchtete Wasser-Rennmaschine angenehme „Roll-“ oder Flugeigenschaften haben würde, erwartete niemand. So war es im Bereich des Tolerablen, dass durch ein nicht vollständig ausgeglichenes Drehmoment das Abheben bis zu 90 Grad zur ursprünglichen Startrichtung stattfand. Diese Eigenheit war der MC 72 nicht auszutreiben, sodass mit einem beständigen Ausbrechen gerechnet wurde oder die Maschine gar einen Vollkreis auf der Wasseroberfläche zog, bevor es abhob. Gefährlicher waren da schon die Fehlzündungen, die zum einen zu Motoraussetzern führen konnten, zum anderen schlussendlich aber auch für Motorenbrände und Motorexplosionen sorgte. Zwei Piloten kamen ums Leben, als der AS 6 nach Fehlzündung explodierte und in Brand geraten war. An eine rechtzeitige Teilnahme an der Schneider -Trophy war, nachdem die Briten der Bitte um eine Verschiebung nicht nachgekommen waren, daher nicht mehr zu denken.
So ergab sich die seltsame Situation, dass zur Schneider-Trophy im September 1931 nur ein einziger Wettbewerbsteilnehmer antreten konnte: John Boothman mit einer Supermarine S.6B, der die 350 Kilometer des Kurses mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit mit 547,31 km/h absolvierte und damit einen neuen Weltrekord etablieren konnte. Die Italiener wollten sich allerdings nicht so einfach geschlagen geben. Ein gutes Jahr später hatte man die Zündungs- und Vergaserprobleme endlich soweit in Griff bekommen, dass ein eigener Weltrekordversuch gestartet werden konnten. Tatsächlich sollte diese bemerkenswerte Beständigkeit für einen nachhaltigen und eindrucksvollen Rekord sorgen: am 10. April 1933 tilgte Francesco Agello mit der (hier im Modell dargestellten) MM 181 den britischen Rekord, indem er die Bestmarke auf 682,08 km/h anhob. Ein Jahr später gelang es ihm sogar, die eigene Bestzeit noch einmal zu überbieten: am 23. Oktober 1934 jagte Agello seine MC 72 mit 709,202 km/h Spitze über die Wasseroberfläche des Gardasees – und brachte, wenn schon nicht eine Schneider Trophy, so jedenfalls den Geschwindigkeitsweltrekord nach Italien. Tatsächlich ist diese Leistung bis heute nicht überboten und die rasante Macchi Castoldi MC 72 mit Franceso Agello noch immer Rekordhalterin: auch wenn bald darauf Landflugzeuge noch schneller flogen und noch später die Beriev Be-6 als turbinengetriebenes Flugboot inzwischen die Leistung der MC72 überboten hat, hält Agellos MC 72 den Rekord als schnellstes Wasserflugzeug mit Propellerantrieb bis heute. Agellos Rekordmaschine ist glücklicherweise erhalten geblieben und kann im Luftfahrtmuseum Vigna di Valle nahe Rom bestaunt werde.
Die hier in den Fokus gesetzte MC 72 MM181 ist Teil eines Doppelprojekts gewesen. Die zweite MC 72, die dabei entstanden ist, könnt Ihr hier schon auf den Bildern im Hintergrund des Hangars erkennen. Ich möchte dieses zweite Modell in den Mittelpunkt eines weiteren Artikels zur Macchi MC 72 stellen, bei dem ich meine Erlebnisse mit dem Bausatz von AMP sowie aus dem Bauprozess gewonnenen Erfahrungen in den Vordergrund stellen werde. Vielleicht ergibt sich daraus ja sogar der eine oder andere Tipp für an diesem schönen Vorbild Interessierte.
Eines kann ich hier jedenfalls als Fazit ziehen: so interessant der geschichtliche Hintergrund von Mario Castoldis unübertroffener Rennmaschine ist, so sehr kann auch der feine Bausatz dieser Maschine von AMP begeistern. Analog zum Original gilt allerdings auch für diese maßstäbliche Wiedergabe: ein paar Dinge sollte man beachten und eine gewisse erfahrungsgestärkte Vorsicht walten lassen, will man sich in das Miniatur-Cockpit der Macchi MC 72 setzen und damit gut in der Modellvitrine landen. Aber dazu mehr in einem folgenden Artikel!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer