Der Gigant
Modell: Mil Mi-6VKP „Hook“
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/72
Verwendeter Bausatz: Amodel (72338)
Die Mil Mi-6 „Hook“, ein rekordverdächtiger Gigant
Der hier vorgestellte schwere Transporthubschrauber nimmt nicht nur unter den sowjetischen Konstruktionen eine besondere Stellung ein, sondern ragt unter allen Drehflügler-Entwürfen ihrer Zeit hervor. Ab dem Zeitpunkt seines Erstflugs im Juni 1957 war dieser Riese 10 Jahre lang der größte je in Serie gebaute Hubschrauber der Welt. Mit 42 Metern Gesamtlänge überragte die Mi-6 jedes vergleichbare Fluggerät bei weitem. Beachtliche 35 Meter im Durchmesser misst dabei der gewaltige Hauprotor.
Geschichte schrieb die Mil Mi-6 auch mit ihrem Antrieb: als erster Sowjet-Hubschrauber kamen hier Turbinen als Antrieb zum Einsatz: zwei Solowjow D-25W Aggregate mit je 5.500 PS Wellenleistung stellten genug Kraft zur Verfügung, um die mit 42.000 kg maximaler Abflugmasse schwere Mi-6 auf den Rekordwert von 340 km/h zu beschleunigen. Die Mi-6 war damit unbestritten der schnellste Hubschrauber der Welt.
Um diese für Drehflügler einmalige Geschwindigkeit zu erreichen, verließ man sich nicht nur auf die rohe Kraft zweier Turbinen, sondern nahm auch in etwas eleganterer Weise die Aerodynamik zu Hilfe. Dies sollte der Mi-6 ein Aussehen mit hohem Wiedererkennungswerte einbringen: am oberen Rumpf der Mi-6 können zwei Tragflächen mit großem Anstellwinkel montiert werden, die den Auftrieb im Reiseflug um bis zu 20 % erhöhen. Die so gewonnene Energie konnte in Geschwindigkeit umgesetzt werden.
War die Mi-6 in vielen Bereichen die Erste, so hatte sie eine Besonderheit als Letzte aufzuweisen: bemerkenswerterweise waren die Heckrotorblätter noch aus Holz gefertigt, eine insbesondere bei schweren Groß-Hubschraubern einzigartige Lösung.
Auch wenn man sich mit der Tragkraft der Mi-6 beschäftigt, kommt man um Superlativen wieder nicht herum, immerhin wurden mit ihr 17 Weltrekorde aufgestellt! Zwei davon seien hier angeführt. Über 20.100 kg interne Nutzlast sowie die Fähigkeit, dazu noch 9.000 kg als Außenlast an den Haken zu nehmen, sicherten der Mi-6 den ersten Platz, ebenso hält sie noch heute den FAI Rekord für die schnellste Durchschnittsgeschwindigkeit, die mit einer 5.000 kg schweren Last über eine Strecke von 1.000 Kilometern erflogen worden ist: die 284 km/h sind meines Wissens noch nicht überboten.
Bei derartigem Potential wundert es nicht, dass die Mil Mi-6 „Hook“ in großer Stückzahl weite Verbreitung fand und in zahlreichen Unterversionen und Varianten zum Einsatz gelangte. Das Spektrum des militärisch wie zivil genutzten Groß-Hubschraubers reichte dabei vom Kampfzonentransporter, fliegendem Gefechtsstand und militärischem wie zivilem Schwerlasttransporter über den Einsatz in der Katastrophenhilfe und als Feuerlöschflugzeug bis zum Dienst als „fliegendem Kran“. Dies war eine Einsatzrolle, in der die Mi-6 besonders glänzen konnte: mit über 20 Tonnen konnte mehr Gewicht angehoben werden, als das Leergewicht des größten Hubschraubers des Westen, der CH-61 Skycrane, auf die Waage brachte!
Über die auf der gesamten Rumpfbreite zu öffnenden Heckklappen konnte eine große Bandbreite an unterschiedlicher Ladung an Bord genommen werden. So fanden bis zu 65 voll ausgerüstete Infanteristen ebenso Platz wie 41 Verwundete auf Tragen samt notwendiger Infrastruktur. Auch sperrigere Fracht wie der Aufklärungspanzer PT-76 oder das Kurzstrecken-Raketensystem FROG-7 konnten mit der Mi-6 verlegt werden.
Die Mi-6 wurde nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion geflogen, sondern auch in das befreundete Ausland exportiert. Die „Hook“ fand sich so in Ländern wie Ägypten, Algerien, Irak, Pakistan, China, Peru oder auch Vietnam im Einsatz. Die Nordvietnamesen nutzten die Mi-6 etwa, um während der Jahre des amerikanischen Vietnamkriegs ihre MiG 17 oder MiG 19 auf die Einsatzplätze zu bringen oder in die Reparaturwerften zu verlegen – und zwar als Außenlast am Haken. Die Mil Mi-6 machte so ihrem Nato-Codenamen „Hook“ („Haken“) alle Ehre.
Zwischen 1959 und 1980 wurden insgesamt 926 Exemplare der Mi-6/Mi-22 in zahlreichen Varianten und Versionen gefertigt. Die Außerdienststellung in Russland fand 2002 statt: die hölzernen Heckpropeller waren endgültig an das Ende ihrer Lebenszeit gekommen.
Das Vorbild zum Modell
Das hier dargestellte Modell zeigt eine Mi-6 in einer Variante, von der nur wenige Exemplare gefertigt worden sind: die Mi-6VKP war als fliegender Kommandostand ausgelegt. Dies erklärt die zahlreichen Antennen- und Kommunikationsanlagen, die das Erscheinungsbild prägen. Um als Kommandostand genutzt zu werden, musste der Hubschrauber allerdings gelandet sein, insofern ist die Bezeichnung „fliegend“ missverständlich und sollte eigentlich durch „luftmobil“ ersetzt werden. Ein wirklich fliegender Kommandostand wurde erst mit einer nachfolgenden Variante, der Mi-6AYa/VzPU realisiert, die auch unter der Bezeichnung Mi-22 bekannt wurde.
Bausatz und Bauprozess
Dies bietet eine gute Überleitung zu den modellbauerischen Aspekten: die Mi-6 wurde als Teil eines parallel geführten Doppel-Projekts gebaut. Die zweite „Hook“ ist dabei als eine der genannten Mi-22 verwirklicht worden.
Es erscheint mir ja schon erstaunlich, dass ein derart wichtiger und nicht nur durch seine schiere Größe sondern sozusagen auch durch seine historische Prägnanz kaum zu übersehender Hubschrauber wie die Mi-6 tatsächlich nur von einem einzigen Hersteller als Kunststoff-Bausatz angeboten wird! Diese Aufgabe hat der Hersteller Amodel übernommen, der 2005 mit neuen Formen eine erste Mi-6 in 1/72 aufgelegt hat.
Wer Amodel kennt, weiß, dass hier zwar klug und ambitioniert designte Teile warten, diese aber durch zweifelhafte Passgenauigkeit und einen insgesamt nur als „grob“ anzusprechenden Formenguss die Geschicklichkeit und die Geduld des Modellbauers mitunter hart auf die Probe stellen. Licht und Schatten liegen hier immer ganz nah beieinander.
Ich habe mir nun vorgenommen, die zu den beiden Modellen gehörenden Artikel nicht mit Inhalt zu überfrachten oder den zweiten gar zu einer inhaltlichen Wiederholung des ersten zu machen. So habe ich hier den Fokus meiner Erzählung auf die Typ- und Einsatzgeschichte der Mi-6 Hubschrauberfamilie gelegt, während der nachfolgende zweite Artikel zur Mi-6AYa/VzPU (beziehungsweise Mi-22) vor allem mit dem Bausatz und den Erfahrungen, die ich damit im Projektverlauf machen konnte, beschäftigen wird. Hier gibt es tatsächlich viel zu berichten – das kann ich guten Gewissen schon einmal ankündigen!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer