Das erste Kampf-U-Boot
Modell: Tauchboot „Turtle“
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/35
Verwendeter Bausatz: MikroMir (35-015)
Soviel scheint gewiss: Sergeant Ezra Lee dürfte definitiv nicht unter Klaustrophobie gelitten haben, denn wie hätte er sich sonst auf folgendes Wagnis einlassen können? Er war bereit, in dem hier gezeigten Gefährt zur ersten Einsatzfahrt eines Unterwasserbootes aufzubrechen. Das bedeutete konkret, sich in ein Fass von nicht einmal zwei Meter Innenmaß hineinzuzwängen, um sich dann in einer bedrängenden Enge inmitten von Hebeln und Kurbeln einschließen zu lassen. Die außen sichtbaren Schrauben zur Steuerung der Tiefe sowie des Vortriebs wurden direkt von Hand betrieben – und dass in kauernder Haltung, da ein Aufrichten in der sauerstoffarmen Enge unmöglich war. Zudem musste über eine Kurbel auch noch die Lenzpumpe bedient werden, mit der das Auf- oder Absteigen dieses Tauchbootes gesteuert werden konnte. Zu guter Letzt war auch noch kontinuierlich die Ruderpinne zu betreuen, um den Kurs zu halten.

Das Tauchboot „Turtle“
Ezra Lee brachte den Mut und das Geschick auf, das Gefährt zu steuern, konzipiert hatte es jedoch jemand anderer: David Bushnell, ein umtriebiger Erfinder, Unternehmer und Mediziner aus Connecticut, der zur Zeit des Kriegsausbruchs Studien in Yale absolvierte. Als die Unabhängigkeitsbewegung der 13 englischen Kolonien 1775 in einen offenen Krieg gegen das ehemalige Mutterland umgeschlagen war, versuchte Bushnell die militärischen Anstrengungen der sich formierenden Vereinigten Staaten mit seinem Erfindungsreichtum zu unterstützen. Er plante, mittels eines mit Schrauben angetriebenen Unterwasserfahrzeugs Pulverladungen an englischen Schiffen anzubringen.
Die Bekanntschaft mit dem wohlhabenden Uhrmacher und Besitzer einer Metallgießerei, Isaac Doolittle, kam da äußerst gelegen. Nachdem die beiden erfolgreich um George Washingtons Zustimmung geworben hatten, Benjamin Franklin mit dem Projekt bekannt gemacht worden war und sich Thomas Jefferson gar begeistert gezeigt hatte, durfte man an eine Umsetzung denken. Mit der finanziellen und technischen Unterstützung Isaac Doolittles konnte Bushnells Konzept eines -erstmals! – durch Schrauben angetriebenen Tauchboots dann tatsächlich innerhalb eines Jahres verwirklicht werden. Wegen ihrer an eine Schildkröte erinnernden Form wurde das neue, seltsame Gefährt „Turtle“ getauft.
Der Rumpf war in bester Schiffsbautradition aus Eichenholz aufgebaut und wurde mit massiven Fassreifen zusammengehalten. Sorgfältige Kalfaterung dichtete nicht nur die Planken ab, sondern schützten auch die Auslässe des Schiffsbohrers, von Rudergestänge und der Schraubenwellen vor eindringendem Seewasser. Die zahlreichen Bauteile und Beschläge aus Messing lieferte Doolittles Werkstatt, der auch für die im Innenraum befindlichen Instrumente verantwortlich zeichnete. Die Tauchtiefe wurde über einen Wassertank mit angeschlossener Pumpe kontrolliert sowie über die horizontal arbeitende Schraube gesteuert. Zusätzlich konnte ein 90 kg schweres Gewicht am Rumpfboden für schnelles Auftauchen ausgeklinkt werden. Die Navigation erfolgte per Sicht. Zu diesem Zweck waren mehrere Glasfenster im Metall der Kuppel eingelassen. Man schätzt, dass die Turtle bei ruhigem Seegang knappe 5 km/h Fahrt machte, ihre Ausdauer unter Wasser wird mit rund 30 Minuten angegeben, danach musste aufgetaucht werden, um die Atemluft zu erneuern.
In Isaac Doolittles Uhrmacherbetrieb entstand auch die mit einem Uhrwerk als Zeitzünder ausgestattete Sprengladung, welche die Turtle in folgender Weise an ihr Ziel heften sollte: war das U-Boot einmal unentdeckt unter dem Rumpf des Zielschiffes angelangt, sollte mittels eines Bohrers, an dem die Sprengladung mittels eines Seils befestigt war, an den Schiffsboden verankert werden. War dies vollbracht, mussten Bohrer und Sprengladung ausgeklinkt werden. Danach würde der Zeitzünder ein sicheres Entkommen ermöglichen – soweit der wagemutige Plan.
Einsatzfahrten der Turtle
Im August 1776 wurde die Turtle zu ersten Testfahrten bei Ayer’s Point in den Fluss Connecticut gebracht, später setzte man die Erprobung in den Gewässern bei Long Island fort. Die Piloten dieser Fahrten waren sowohl Bushnell selbst wie auch Sergeant Ezra Lee, einer von sieben Freiwilligen, die sich ursprünglich für diese Missionen gemeldet hatten.
Tatsächlich schaffte es die Turtle bei ihrer ersten Einsatzfahrt am 7. September 1776 bis unter den Rumpf der HMS Eagle, eines 64 Kanonen Linienschiffes, das zu diesem Zeitpunkt als Teil der britischen Blockadeflotte im Hafen von New York auf Reede lag. Was dann geschah, bleibt in den Einzelheiten unklar, sicher ist aber das Folgende: Sergeant Lee brachte es nicht zuwege, den Bohrer mit der Sprengladung im Rumpfboden der HMS Eagle zu fixieren. Unverrichteter Dinge musste er nach einigen Versuchen umkehren, schaffte es aber tatsächlich wohlbehalten nach mehrere Stunden Fahrt wieder an freundlichen Ufern an Land.
Weitere Angriffe auf britische Schiffe im New Yorker Hafen folgten, allerdings blieben auch sie ohne die erhoffte Wirkung. Als größter Erfolg ist wohl zu vermerken, dass die Turtle und ihr wagemutiger Pilot es tatsächlich jeweils zielgerichtet bis unter die Schiffe und auch wieder zurück geschafft hatten!
Lange sollte die Karriere des ersten im Kriegseinsatz verwendeten U-Bootes der Welt allerdings nicht dauern. Die Turtle ging noch im selben Jahr verloren, als ihr Transportschiff bei einer Verlegungsfahrt von einer britischen Fregatte gestellt und versenkt wurde.
David Bushnell zog aus den ergebnislosen Angriffsfahrten der Turtle den Schluss, dass das U-Boot nicht der richtige Weg wäre, eine Pulverladung ans Ziel zu bringen. Er tüftelte weiter, bis es ihm 1777 gelang, mit einer von ihm konzipierten Treibmine das britische Linienschiff HMS Cerberus in Bedrängnis zu bringen. Vier britische Seeleute kamen um, als Bushnells Mine – er kreierte für sie das Wort „Torpedo“ – in unmittelbarer Nähe des Schiffes detonierte.
Sergeant Lee wurde ausgezeichnet, kletterte die militärische Karriereleiter im Geheimdienst der jungen US-Armee hoch und nahm an den Schlachten von Trenton, Brandywine und Monmouth teil. Bei letzterer verlor er seine rechte Hand und schied hochbelobigt 1782 aus der Armee aus. Als er 1821 im damals ansehnlichen Alter von 72 Jahren verstarb, war in seinem Nachruf zu lesen: „This soldier is the only man who fought the enemy upon land, upon water, and under the water“ („Dieser Soldat ist der einzige Mann, der den Feind auf dem Land, zur See und unter Wasser bekämpfte“).
Zu Bausatz und Bauprozess
Ich kann die Beschreibung der einzelnen Bauschritte knapp halten: was MikroMir hier in die Schachtel legt, ist ein brauchbarer Ausgangspunkt, um Bushnells Turtle darzustellen – mehr aber auch nicht.
Die Baufotos legen Zeugnis davon ab: die Modellmaße der Turtle sind ohnehin schon klein, der Guss aus transparentem Kunststoff fällt noch dazu unsauber und schrundig aus, sodass ich nach den ersten Montageschritten ein wirklich unansehnliches „Plastik-Ei“ vor mir hatte. Klarheit, was da denn nun möglich wäre, brachte erst die farbige Grundierung des Ganzen. Nach einigem Schleifen und Nachgravieren begannen sich die Formen der Turtle abzuzeichnen. Die Bullaugen bohrte ich auf, um sie am Ende des Bauprozesses mit Klearfix zu verfüllen.
MikroMir legt eine kleine und sehr hilfreiche Ätzteilplatine bei, auf dem man die beiden Propeller und die Fassungen der Bullaugen findet. Die Kunststoffteile für den Schiffsbohrer und die beiden Schnorchel habe ich durch Improvisationen aus Draht ersetzt. Am Bohrer wurden mit einem darum gewickelten dünnen Garn die Gänge des Bohrgewindes nachgestellt, was zumindest eine Verbesserung des viel zu unpräzise und verbogen gearbeiteten Originalteils darstellt. Die Farbgebung erfolgte zum einen mit Alclads Metallfarben, zum anderen wurden die Holzteile mit Vallejo- Acrylfarben handgemalt.
Fazit
Abschließend möchte ich betonen, wie sehr ich MikroMirs Modellauswahl schätze! Auch wenn die Teile mitunter ein klein wenig Nachbearbeitung verlangen, sind die Bausätze doch stets solide gemacht und können, etwas Eigeninitiative vorausgesetzt, zu Ergebnissen führen, die dem Modellbauer Freude machen.
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer




