VJ 101C X1
Modell: VJ 101C X1
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/72
Verwendeter Bausatz: A&A Models (7203)
„Very Gerry Anderson“: dieser Kommentar war in einem Modellbauforum zu lesen, auf dem dieses Modellbauprojekt vorgestellt wurde. Nach einer kurzen Nachdenkpause und ein wenig Recherche ist mir schnell klar geworden, wie treffend diese Bemerkung ist. Die VJ 101 scheint wirklich einem der legendären „Thunderbird“ Filme, die mit ihren Marionetten-Darstellern einst große Popularität genossen haben, entsprungen zu sein!
Das Vorbild
Die Hintergründe zu diesem zukunftsweisenden Entwurf waren aber ganz real: Ende der 50er Jahre wurde in Deutschland die Entwicklung eines VTOL -Kampflugzeuges, in der damaligen Nomenklatur noch „Jäger“, ausgeschrieben. Die Firmen Messerschmitt, Heinkel und Bölkow vereinten im „Entwicklungsring Süd“ schlussendlich ihre Anstrengungen, ein senkrecht startend- und landendes sowie überschallschnelles Jagdflugzeug zu konzipieren. Wie ambitioniert die Pläne waren, verrät das Vorhaben, die VJ 101-Serienmaschinen als Nachfolger der F-104 Starfighter einzusetzen.
Entwicklung und Erprobung scheinen relativ zügig und erfolgreich fortgeschritten zu sein. 1964 wurde der erste Überschallflug durchgeführt. Obwohl kurz danach einer der beiden Prototypen durch das Versagen eines Flugreglers abgestürzt ist, schien das Konzept eines überschallschnellen VTOL- Kampflugzeuges dieser Auslegung prinzipiell erfolgreich zu sein.
Das bleibt erstaunlich, bedenkt man, dass das erste wirklich in Serie gebaute überschallschnelle Muster in Form der zeitgenössischen Lockheed Martin F-35B dann noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten hat lassen.
Die VJ 101 sollte jedoch ein reines Versuchsflugzeug bleiben. Nach 1968 wurde die Flugerprobung eingestellt und die Projektentwicklung bald darauf beendet. Die überlebende VJ 101C X-2 ist heute als eindrucksvolles Exponat im Technischen Museum München zu bewundern.
Der Bausatz
Der ukrainische Hersteller A&A scheint sich auf seltene Flugzeugmuster und Prototypen spezialisiert zu haben. Schon das weiß zu gefallen, darüber hinaus ist diesem Bausatz aber auch die Ambition anzumerken, ein gut ausgestattetes und sorgsam durchgeplantes, somit auch wirklich baubares Modell auf den Markt zu bringen. Zur Illustration: allein der Schleudersitz besteht aus 11 Teilen! Beim Bau der Triebwerksgondeln sollte man sich ebenfalls Zeit nehmen, um den komplexen und sich um Details bemühenden Aufbau zu würdigen.
Punkte auf der Minusseite sind zum Großteil der short run- Natur des Bausatzes geschuldet. Die Passgenauigkeit ist in manchen Teilen mehr als ausbaufähig und die Detailierung von gut sichtbaren Regionen wie Fahrwerk/Fahrwerksbeinen lässt begründet den Wunsch nach etwas präziseren und weniger verwaschen wirkenden Konturen aufkommen. In diesem Sinne wäre es auch schön gewesen, das Bugrad mit einem eigenen Bauteil und nicht, wie hier, mit angegossener Felge/Bereifung bauen zu können.
Insgesamt ist der Modellbauer in allen Bauschritten zum Mitdenken und Improvisieren aufgerufen. Auch Freude an der Arbeit mit Spachtelmasse und Schleifmaterial hilft bei der positiven Bewältigung dieses durchaus lohnenden Modellbauvorhabens.
Die Bauanleitung muss genau studiert werden, eine gediegene Vorbildrecherche ist ebenfalls empfehlenswert. Die Anleitung verlangt etwa die Anbringung einer Heck-Messsonde, die erst bei der X-2 angebracht worden ist. Infolgedessen muss die Verdickung am Seitenleitwerk abgeschliffen werden- eine Notwendigkeit, von der ich durch den hilfreichen Hinweis eines Modellbaukollegen erfahren habe. Dummerweise erst nach Abschluss der Lackierung, aber das kann man sich eben nicht immer aussuchen.
Fazit
Als Resümee möchte ich eine durchwegs positive Bilanz ziehen. Dank A&A steht eine ganze „kleine“ Welt an Prototypen und seltenen Vögeln offen, die in mehrerer Hinsicht Farbe in die Vitrine und- vielleicht noch wichtiger- auf den Werktisch bringen. Dieser Hersteller hat hier wirklich ordentliche Arbeit geleistet, ohne den Modellbauer mit einem beiläufigen „ohne Aufwand“-Bausatz zu langweilen, bei dem es nichts zu lernen gäbe.
Das VJ 101 hat nicht nur mein technikgeschichtliches Wissen erweitert, sondern mir auch ein neues geflügeltes Wort beschert: „Very Gerry Anderson – indeed!“
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer