Das Ungetüm
Modell: Berijew WWA-14
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/72
Verwendeter Bausatz: ModelSvit (72014)
Gleich vorweg: Die Beriew WWA-14 ist tatsächlich geflogen – und zwar gar nicht schlecht, wie noch zu schildern sein wird. Der verwunderte Blick rätselt über die seltsame Auslegung und bleibt an den ungewöhnlichen Detailformen dieses fliegenden Ungetüms hängen: hat man nun ein Wasser- oder Luftkissenfahrzeug, ein Flugboot oder etwas noch Exotischeres vor sich?
Zum Original: Bartini Beriew WWA-14
Ein Hinweis, was sich hinter der auffallenden Konstruktion verbirgt, findet sich in der Bezeichnung der Maschine. Die Abkürzung WWA-14. leitet sich von wertikalno-wsljotnaja amfibija ab, bezeichnet also ein „vertikal startendes Amphibienflugzeug“. Die Zahl 14 – man stelle sich das nur vor! – benennt die ursprünglich geplante Anzahl an (Hub- und Marsch-)Triebwerken!
So futuristisch diese Vorstellung bis hier schon klingt, wird es noch spektakulärer: geplanter Einsatzzweck der WWA-14 war die Jagd auf westliche U-Boote, wobei vor allem die in den 60iger Jahren neu aufgetauchte Bedrohung durch mit Polaris-Interkontinentalraketen bestückte Boote der US Navy den Anstoß zur Entwicklung gab. Die Vorstellung dabei war, dass der U-Bootjäger senkrecht von Land oder Wasser aus starten konnte, sein Einsatzgebiet als konventionelles Flugzeug in großer Höhe fliegend erreichen würde, um dann, nun tief fliegend, mit der mitgeführten umfangreichen U-Jagdausrüstung die Suche und Bekämpfung der feindlichen Kräfte aufzunehmen. Geplant war natürlich die Ausstattung mit dem Neuesten, was der damalige Stand der Sowjet-Rüstungstechnik zur Bekämpfung von Unterwasserzielen aufbieten konnte. Die geplanten Abwurfwaffen bestanden aus 16 Wasserbomben, 2 Torpedos und 8 Seeminen mit einem Gesamtgewicht von 2.000 kg. Eine charakteristische Eigenheit, die sich in den Formen der WWA-14 niedergeschlagen hat, kam zur Erreichung dieses Einsatzzweckes hinzu: um Reichweite und Ausdauer zu vergrößern, war die WWA-14 ausgelegt, dicht über dem Wasser fliegend, den Bodeneffekt zur Auftriebserzeugung nutzen zu können.
Die Besatzung der WWA-14 bestand aus drei Mann: Pilot, Copilot und Waffensystemoffizier waren im dem zentralen Rumpf vorgesetzten Cockpit positioniert, im Notfall sollten sie sich mit drei KL-36 Schleudersitzen retten können. Die damalige Novität einer fly by wire Steuerung unterstützte die Arbeit des Piloten, allerdings wurde diese erst beim zweiten Prototypen eingebaut.
Mit diesen Informationen versteht man den ungewöhnlichen Anblick der WWA-14 schon etwas besser: die Unterseiten der beiden langgezogenen seitlichen Rümpfe dienen als Schwimmer. Beim ersten Prototypen M1, hier gezeigt, erprobte man übrigens noch eine Konfiguration mit aufblasbaren Schwimmkörpern: im Flug sollten die leeren Schwimmer aerodynamisch günstig an die Rümpfe eingezogen werden können. Bei der zweiten gebauten WWA-14 M2 war man von dieser Idee schon abgekommen, da sich die notwendige Mechanik bei höheren Geschwindigkeiten als zu problematisch erwiesen hatte. Der geplante Einbau von weiteren 12 Hubtriebwerken für den senkrechten Flug wurde nicht mehr durchgeführt.
Bei dem zweiten Prototypen M2 war auch eine weitere Idee verwirklicht worden, welche die Wirkung des Bodeneffekts verstärken sollte: am zentralen Rumpfteil waren zwei Strahltriebwerke so installiert, dass sie ihren Abgasstrahl in den Raum zwischen den beiden Schwimmern, dem zentralen Rumpfdach und der Wasseroberfläche leiteten umso Auf- wie Vortrieb des schweren Fluggeräts zu verbessern.
Ein kurzer Blick auf die Abmessungen und Leistungsdaten der WWA-14 verdeutlicht, dass man es hier mit einem wahren Leviathan zu tun hat. Eine Länge von knapp 26 Metern und eine Spannweite von 28,50 stehen zu einer beeindruckenden Höhe von 6,80 Metern. Unbeladen wog die WWA-14 schon 35.400 kg, mit Treibstoffen und 2.000 kg Abwurfwaffen brachte sie es auf 52.000 kg. Die am Rumpfrücken montierten zwei Solowjew D-30M Strahltriebwerke brachten die WWA-14 auf 760 km/h Höchstgeschwindigkeit. Die Dienstgipfelhöhe lag bei 10.000 Metern. Die für einen global präsenten U-Bootjäger angemessene Reichweite wird mit 2.450 Kilometer angegeben.
In die Entwicklung dieses futuristischen Konzepts wurden einige Jahre mit Nachdruck Ressourcen und Energie investiert. Robert Bartini sollte als Ideengeber die Entwicklung der WWA-14 leiten: 1965 wurde er mit der Konzeptualisierung des neuen U-Bootjägers beauftragt, der Flugboothersteller Beriew sollte die Komponenten fertigen und die Flugerprobung übernehmen. Die Umsetzung des komplexen Vorhabens benötigte Zeit: 1972 erfolgte der Erstflug der WWA-14 M1 im südrussischen Taganrog am Asowschen Meer. Die Erprobung erfolgte anfangs noch mit einem Fahrwerk, später wurden die aufblasbaren Schwimmer eingebaut. Der zweite Prototyp M2 besaß die beiden beschriebenen Turbinen vorne an der verlängerten Cockpit-Gondel sowie die Vorrichtungen für die fly-by-wire Steuerung. Mit der M3 hatte man geplant, die Flugerprobung inklusiver kompletter Ausrüstung und voller Bewaffnung fortzuführen. Allerdings sollte es nicht mehr so weit kommen. Mitte der 70er Jahre war das Interesse am ausufernden Projekt schon zusehends abgeflaut, sodass man nach dem Tod Bartinis im Jahr 1974 die Erprobung dann gänzlich auslaufen ließ.
Kein Bericht zur WWA-14 wäre komplett ohne einen Hinweis auf den dahinter stehenden Ideengeber und Konstrukteur dieses ungewöhnlichen Projekts. Robert(o) Bartinis Leben und seine Leistungen als Flugzeugkonstrukteur scheinen ebenso außergewöhnlich wie seine Konstruktionen. In diesem Rahmen soll eine Sammlung von Stichworten genügen: nach unehelicher Geburt 1897 in Fiume als Kleinkind von einem österreichisch-ungarischen Adeligen adoptiert, Einsatz im 1. Weltkrieg sowie russische Kriegsgefangenschaft, Rückkehr als überzeugter Kommunist, danach Mitglied der italienischen kommunistischen Partei. Nach Mussolinis Machtübernahme 1922 Ausreise in die UdSSR. Arbeit in mehreren flugtechnischen Institutionen und Einrichtungen sowie eine Anzahl bahnbrechender Entwürfe, Veröffentlichungen und Konstruktionen. 1938 Verhaftung und Verurteilung durch den NKWD, Lagerhaft bis zur Entlassung 1947. Nach seiner Haft volle Rehabilitation und Arbeit im Konstruktionsbüro Beriew, wo er federführend für die Entwicklung bahnbrechender und unkonventioneller Flugboote verantwortlich war. 1974 verstorben, gilt Bartini als einer der großen Persönlichkeiten der Luftfahrtgeschichte, die WWA-14 stellt einen letzten Höhepunkt seiner Arbeit dar.
Zu Modell und Bauprozess
Der Hersteller ModelSvit macht sich immer wieder daran, ausgesprochen ausgefallene Flugzeuge der Luftfahrtgeschichte aufzulegen. Die beiden WWA-14 M1 und M2 passen hier wunderbar ins Konzept!
Dass ein beeindruckend großes Modell entstehen wird, macht ein erster Blick auf die mitunter sehr großen Teile schnell klar. Der komplexe Aufbau des Vorbilds schlägt sich aber auch in einer eindrucksvollen Anzahl an Teilen nieder.
Der Blick in die klar und ausführlich gestaltete Bauanleitung verspricht einen detailfreudigen Bau – und der Modellbauer wird auch tatsächlich nicht enttäuscht! Allein der vielteilige Aufbau der beiden Schleudersitze nimmt einige Zeit in Anspruch und stimmt auch gleich einmal auf ein Modellbauvergnügen ein, dass auch die Bewältigung von filigranen Kleinstteilen fordert. Achtsamkeit ist bei deren Abtrennung von den dicken Gussästen zu empfehlen.
Die Passgenauigkeit verdient meines Erachtens eine Beurteilung, die zwischen „befriedigend“ bis „gerade noch genügend“ schwankt. Spachtelmasse und Schleifpapier sind in allen Bauphasen treue Begleiter, mehrmals sind auch Einfallsreichtum und der Mut zur Improvisation gefordert. Ich denke hierbei vor allem an die Montage des Zentralkörpers und jene der beiden Schwimmer. Vor allem das Anfügen der Schwimmkörper-Unterseiten hat sich für mich als haarige Sache dargestellt: hier schaukelten sich unsauber gegossene, verzogene Formen, mangelnde Passgenauigkeit und die zu diesem Zeitpunkt schon mächtig angewachsene Größe des (noch) instabilen Modells kurzzeitig zu einem herausfordernden Szenario auf. Aber, wie man sich denken kann, mit tatkräftiger Besonnenheit sowie viel Cyanacrylat und Schleifpapier war auch diese Klippe zu umschifft.
Die Decals haben zu meiner Erleichterung wunderbar funktioniert und liefern ein recht schönes Ergebnis. Abschließend kann ich sagen, dass bis auf die beschriebenen Umstände ModelSvit ein eigentlich gut baubares Modell in die Schachtel gelegt hat. Ein weiterer Pluspunkt ist die Ausstattung mit passgenauen Klebemasken für die Klarteile – dies erleichtert den Bauprozess tatsächlich sehr.
Ich bin Herstellern wie ModelSvit dankbar, dass sie Gelegenheit geben, solch seltene Meilensteine und Exoten der Luftfahrtgeschichte als Modell entstehen zu lassen! In diesem Sinn kann ich die spektakuläre WWA-14 allen Interessierten wärmstens empfehlen – und wünsche gleich beim garantiert unterhaltsamen Bau viel Freude!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer