Boeing SST -
Amerikas "Concorde"
Modell: Boeing SST
Gebaut von: Roland Sachsenhofer
Maßstab: 1/400
Verwendeter Bausatz: Atlantis (M6815)
Europas Concorde, die Tupolew Tu-144 der Sowjetunion – und die Boeing 2707 der USA: so hätte nach den Plänen der USA die Welt der überschallschnellen Passagierluftfahrt ab den 70er Jahren ausgesehen. Wobei die amerikanische Überschallkonstruktion nach US-Wünschen selbstverständlich in allem, was Eindruck und Leistungsfähigkeit bringt, der Konkurrenz beeindruckend weit überlegen sein sollte!
Waren sowohl Concorde wie die Tu-144 rund 60 Meter lang, hätte es die 2707 auf stolze 96 Meter Rumpflänge gebracht. Die beiden tatsächlich realisierten Überschallprojekte flogen maximal bis zu 2,3 Mach, der US-SST (Super Sonic Transport) dagegen hätte 3,5 Mach halten können. Schlussendlich wollte man sich auch nicht lange bei den rund 100 Fluggästen von Concorde und Tu-144 aufhalten, sondern zielte auf zumindest eine Verdoppelung dieser Zahl: gleich 250 bis 300 Passagiere würden nach Boeings Plänen zukünftig dreimal schneller als der Schall reisen können.
Grundlage dieser ehrgeizigen Zielsetzungen war das SCAT-Projekt. Die US Regierung subventionierte das prestigeträchtige Vorhaben eines „Supersonic Commercial Air Transport“ mit großzügig bemessenen Mitteln. 1963 unter Präsident Kennedy ins Leben gerufen, sollte SCAT dafür sorgen, dass die USA in dieser Liga ganz vorne spielen würde. Auch ein sich bald abzeichnender unwirtschaftlicher Betrieb eines SST hätte man in Zeiten des kalten Kriegs im Zeichen des dazugewonnenen Prestiges in Kauf genommen!
1963 wurde ein Wettbewerb für ein zukünftiges SST mit dem Versprechen ausgerichtet, dass 75% der Entwicklungskosten vom Staat vorgestreckt werden würden. Parallel dazu sollte ein zweiter Wettbewerb für das notwendige leistungsstarke Triebwerk sorgen. Boeing stellte schon im Jahr darauf einen ersten Entwurf vor: mit dem intern Model 733 genannten Entwurf wollte man die Herausforderungen des Überschallfluges mit dem Konzept des Schwenkflügels begegnen. Der Konkurrent Lockheed dagegen plante von Anfang an einen Deltaflügel nach Vorbild der Concorde. Man hatte zu großen Respekt vor der komplexen Mechanik und dem zusätzlich anfallenden Gewicht – durchaus zurecht, wie Boeing noch erfahren sollte.
Von den teilnehmenden Konzernen Boeing (Model 2707), North American (NAC-60), Douglas (Model 2229), Convair (Model 58-9) sowie Lockheed (L-2000) waren bald nur mehr Boeing und Lockheed im Rennen. In der nächsten Entwicklungsphase mit der Bezeichnung 2707-100 behielt man bei Boeing den Schwenkflügel der 733 noch bei, vergrößerte aber die Dimensionen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit deutlich: bis zu 300 Passagiere sollten nun in dem auf 97 Metern verlängerten Rumpf Platz finden, des Weiteren fügte man nach dem Vorbild von Concorde und Tu-144 auch eine absenkbare Nase hinzu. Diese sollte sogar mit zwei Gelenken ausgestattet sein: die abgesenkte Spitze mit dem Radom würde mit einem zusätzlichen Gelenk wieder in die Horizontale gekippt werden.
Die nächste Konzeptstufe 2707-200 wies im vorderen Rumpfbereich zusätzliche Entenflügeln auf, dies war nach Windkanalversuchen aus Stabilitätsgründen notwendig geworden.
Im Dezember 1966 schien das Rennen dann gelaufen und die Entscheidung zum Bau festgelegt zu sein. Die FAA verkündete Boeing als Sieger des SST-Wettbewerbs. Drei Jahre später wurde von der Nixon-Administration der Bau zweier Prototypen genehmigt. Die leistungsstarken Triebwerke sollten von General Electric kommen. Mit der 222 kN leistenden Neuentwicklung GE4/J5P hatte GE zwischenzeitlich die Triebwerks-Ausschreibung für sich entscheiden können. Die mit Nachbrenner 290 kN leistende Turbine hätten übrigens 35.000 Liter Kerosin pro Stunde verbraucht, im normalen Betrieb „nur mehr“ 14.200 l/h.
Zu Erstflug und Abnahme des neuen SST hatte man schon konkrete Vorstellungen: 1973 sollte der Erstflug erfolgen, den Beginn der Produktion sah man mit 1973/74 als realistisch an. Kein Wunder, denn 1970 hatten schon 26 Luftfahrtgesellschaften fixe Bestellungen aufgegeben, 122 Exemplare der Boeing 2707 waren zu diesem Zeitpunkt fix geordert.
So mag es für manche überraschend gekommen sein, dass der US-Kongress das gesamte Programm 1973 beendete. Dies hatte vor allem zwei Gründe: zum einen haben Windkanaltests anhaltende technische Probleme verdeutlicht, die vor einem Produktionsbeginn auf jeden Fall zu bereinigen waren. Im Zuge dessen hatte man bei Boeing bei der neuesten Auflage 2707-300 den Schwenkflügel nun komplett gestrichen und war zum reinen Deltaflügel zurückgekehrt. Des Weiteren war aus Gewichtsgründen auch die Länge verkürzt und die Passagierzahl auf 234 Sitze reduziert worden – was wiederum zu einem deutlich unwirtschaftlicheren Betrieb führen würde.
Der zweite Grund, warum sich nie eine Boeing 2707 in die Lüfte erheben sollte, findet sich in der zu Beginn der 70er Jahre losbrechenden Energiekrise. Der verteuerte Ölpreis beschleunigte die Einsicht, dass SSTs unter diesen Bedingungen einfach nicht rentabel zu betreiben wären. Man hatte wohl auch die Bereitschaft der Passagiere überschätzt, für ein überaschallschnelles Flugerlebnis deutlich höhere Preise zu zahlen, dies sollte sich ja auch bei Concorde und Tu-144 bewahrheiten. Boeing würde jedenfalls mit der 2707 kein Glück mehr haben – dafür aber mit der zeitgleich entwickelten 747 die Geschichte der Passagierluftfahrt ihren Stempel aufdrücken können!
Bausatz und Bauprozess
Die diesem Modell zugrunde liegenden Teile von Atlantis aus einem „reboxing“ des erstmals 1968 herausgebrachten Bausatzes von Monogramm machen durchwegs unkomplizierte Freude. Die wenigen Teile sind zügig zu einer ansprechenden Wiedergabe des geplanten SST zusammenzufügen, wobei nur darauf zu achten ist, die simple Mechanik des Schwenkflügels am Funktionieren zu halten.
Der Guss der Teile ist ausgezeichnet, sie zeigen sich angenehm dünnwandig und sorgen dafür, dass die vielen Flächenhinter- und Vorderkanten wunderbar scharf und präzise ausfallen – denn dies ist für das schlanke und elegante Erscheinungsbild in diesem wirklich kleinen Maßstab entscheidend. Auch die Decals zeigen sich in Druck und Verarbeitbarkeit als von bester Qualität.
Aus diesen Gründen kann ich das Boeing 270 -SST-Projekt von Monogramm/Atlantis als erfahrungs- und erkenntnisreiches Modellbauvergnügen zusammenfassen und dieses kleine Abenteuer jedem Interessierten nur wärmstens empfehlen!
© Modell, Bilder und Text: Roland Sachsenhofer
Ich danke für diesen Kommentar gleich aus zwei Gründen: zum einen freut es mich natürlich, dass diese Modell sozusagen bemerkt und mit dem Aufwand eines Kommentars geehrt wurde, zum anderen darf ich sagen: diese Worte sprechen mir aus der Seele! Mit Freude habe ich die spritzige Pointiertheit der Formulierung genossen und sage In diesem Sinne also gleich zweimal danke!
Liebe Grüße
Roland Sachsenhofer
Welch ein elegantes Flugzeug und eine große Vision aus einer Zeit, als Utopie noch nicht automatisch gleichbedeutend mir Dystopie war. Und Fliegen noch ein stilvolles Erlebnis. Der Schwenk von diesem Flugzeug zum „Jumbo-Jet“ mag ja wirtschaftlich und sozial korrekt gewesen sein, veranschaulicht aber deutlich den Kulturverlust im Flugwesen.
Von einem, zugegebenermaßen elitären und damit auch mir wohl nicht offen gewesenen, Erlebnis zu Massentransportmittel mit engen Sitzabständen und minimiertem Service.
Das Modell ist, wie unanständigerweise bei diesem Author schon erwartet, natürlich perfekt gebaut und präsentiert. Gratuliere und herzlichen Dank für den Blick in eine Zeit, als man uns noch nicht weismachen wollte, daß mühsames Umsteigen mit Verspätungen in der Bahn die idealen Reiseformen der Zukunft wären.